Die Arbeiteraristokratie, Träger des Opportunismus in der Arbeiterklasse

von Renate Münder


Was erschwert gerade den deutschen Arbeitern den Kampf, müssen wir uns immer wieder fragen. Denn trotz des massiven Reallohnabbaus der letzten Jahrzehnte, der Ausweitung des Niedriglohnsektors, der Einführung von Hartz IV, aktuell der drohenden Abwälzung der Krise auf die Arbeiterklasse usw., was alles eine massive Verschlechterung des Lebensstandards der deutschen Arbeiterklasse bewirkt, liegt die Zahl der Streiktage in Deutschland deutlich unter dem Schnitt der EU, wird der politische Streik von den Gewerkschaften nicht als notwendiges Kampfmittel akzeptiert und gefordert, werden Arbeitskämpfe frühzeitig beendet, bevor sie ihre volle Wirkung erzielen können.

Ich führe das auf die besonders starke Rolle der Arbeiteraristokratie in Deutschland zurück, d.h., die systematische Korruption bestimmter Gruppen des Proletariats durch die Monopolbourgeoisie, um damit die Arbeiterklasse zu spalten und vom Kampf abzuhalten.

Der Begriff der Arbeiteraristokratie, vor allem von Lenin geprägt und entwickelt, spielt heute innerhalb der Linken nur eine geringe Rolle, wird größtenteils als veraltet abgetan. In den Betrieben allerdings ist das Wort von den Betriebsratsfürsten oder (in geringerem Ausmaß) den Fürsten in der Gewerkschaft sehr wohl noch geläufig und hat die gleiche Stoßrichtung: es dient zur Bezeichnung einer übergeordneten Rolle von Teilen der Arbeiterklasse.

Engels stellte bereits 1858 fest, „dass das englische Proletariat faktisch mehr und mehr verbürgert, so dass diese bürgerlichste aller Nationen es schließlich dahin bringen zu wollen scheint, eine bürgerliche Aristokratie und ein bürgerliches Proletariat neben der Bourgeoisie zu besitzen.“ (Brief an Marx vom 7.10.1858, in MEW, Bd. 29, S. 358) Engels nannte auch die materielle Grundlage dafür in einem Brief an Kautsky vom 12.9.1882: „Die Arbeiter zehren flott mit von dem Weltmarkts- und Kolonialmonopol Englands.“ (MEW Bd. 35, Berlin 1967) Denn die englische Bourgeoisie nahm schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Besitz an Kolonien und durch die Ausbeutung anderer Länder infolge ihrer herrschenden Stellung auf dem Weltmarkt gewaltige Überprofite ein. Diese ermöglichten es ihr, eine Oberschicht der englischen Arbeiterklasse zu korrumpieren. Diese materiell besser gestellten Arbeiter bildeten eine besondere soziale Schicht, die Arbeiteraristokratie, die sich immer mehr von der Arbeiterklasse entfernte und die die Bourgeoisie als ihre politische Stütze in der Arbeiterklasse heranzuziehen trachtete.

Wenige Jahrzehnte später gab es bereits mehrere Länder, in denen sich die Monopolherrschaft durchgesetzt hatte, und mit dem Kapitalexport in die rückständigen Länder standen diesen imperialistischen Staaten Extraprofite zur Verfügung. Einen Bruchteil dieses Monopolprofits zweigten sie ab, um die besonders qualifizierten Arbeiter besser zu bezahlen und so auf ihre Seite zu ziehen. Es handelte sich insbesondere um die Oberschicht der Facharbeiter, die Meister, Aufseher, Vorarbeiter und technischen Angestellten, die für die Leitung und Überwachung des Produktionsprozesses notwendig waren. In den Betrieben, wo der höchste Grad der Monopolisierung erreicht war, war die Arbeiteraristokratie am stärksten.

Die Mittel der Bestechung waren sehr verschieden: neben Löhnen, die oft doppelt so hoch waren wie die der Hauptmasse der Arbeiter, wurden werkseigene Wohnungen zur Verfügung gestellt. Da diese bei Beteiligung an Streiks oder bei revolutionärer Tätigkeit meist sofort gekündigt wurden, hatten sie eine starke disziplinierende Wirkung. Hinzu kamen solche Privilegien wie die Sicherung des Arbeitsplatzes und Altersversorgung. Durch die Weisungsbefugnis gegenüber andern Kollegen wurde diese Schicht innerhalb des Proletariats weiter herausgehoben.

Der ungarische Kommunist A. Fogarasi, der 1935 die Arbeiteraristokratie untersuchte, wertete die „höheren Löhne (als) die wichtigste Form der Bestechung.“ Daneben nennt er aber eine Reihe weiterer Mittel: „Aktienbeteiligung, Gewinnbeteiligung…, Versorgung, gesicherte Arbeitsstelle, Stabilität der Lebensverhältnisse, Prämien, Pensionskassen, Wohnungsvergünstigungen etc …, Privilegien der bodenständigen Arbeiter gegenüber den vom Ausland eingewanderten … Die politischen Formen der Bestechung bestehen in erster Linie in der Verteilung von Posten … Beförderung zum Meister und Vorarbeiter … Einen ungeheueren Einfluss hat bei der Verbürgerlichung die „Anerkennung“ der Arbeiteraristokratie, ihre Einbeziehung in die bürgerliche Gesellschaft, ihr Salonfähigwerden …“ (A. Fogarasi, Lenins Lehre von der Arbeiteraristokratie und ihre Anwendung auf Fragen der Gegenwart, in: Unter dem Banner des Marxismus, Heft 4, Moskau 1935)

Aus der Schicht der betrieblichen Arbeiteraristokratie rekrutierte sich die Arbeiterbürokratie, d.h. die hauptamtlichen Funktionäre der Gewerkschaften, der Genossenschaften und Versicherungskassen sowie der sozialdemokratischen Partei. Letzteres gab diesen auch die Möglichkeit, im Staatsapparat aufzusteigen und hohe Ämter zu bekleiden sowie einen Rattenschwanz von Beratern, Pressesprechern, Journalisten usw. um sich zu versammeln.

Bei allen Vertretern der Arbeiterbürokratie ist der Lebensstandard oft um ein Vielfaches höher als der eines gewöhnlichen Arbeiters, und dazu kommt noch die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die Freistellung von der schweren körperlichen Arbeit, eine ausreichende Altersversorgung usw. Sie führen gleichsam die sichere Existenz eines bürgerlichen Beamten.

Die Zahl der hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre erhöht sich von 108 im Jahre 1899 auf 1625 im Jahr 1907 – ein großer Erfolg der Arbeiterbewegung mit vielen positiven Auswirkungen, und doch auch die Quelle ihrer Entfernung vom Proletariat. Sie fällen Entscheidungen, die für das Leben von Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern von großer Bedeutung sind, und sind doch getrennt von ihnen durch eine große Kluft.

Die entscheidenden gemeinsamen Merkmale der Arbeiteraristokratie insgesamt zu Beginn des Imperialismus sind also: höhere, teilweise wesentlich höhere Entlohnung und sonstige finanzielle Vorteile, Weisungsbefugnis und größere gesellschaftliche Wertschätzung. Bei der Arbeiterbürokratie kommt noch die Befreiung von körperlicher Arbeit sowie Arbeitsplatzsicherheit hinzu, während bei der Oberschicht der Facharbeiter, konzentriert auf bestimmte Berufsgruppen, das Privileg auf einen höheren Lohn reduziert bleibt, höchstens noch von der Weisungsbefugnis ergänzt.

Diese Lebensverhältnisse waren und sind die materielle Grundlage für die Entstehung des Opportunismus in der Arbeiterklasse: „Diese Schicht der verbürgerten Arbeiter oder der „Arbeiteraristokratie“, in ihrer Lebensweise, nach ihrem Einkommen, durch ihre ganze Weltanschauung vollkommen verspießert, ist die Hauptstütze der II. Internationale und in unsern Tagen die soziale (nicht militärische) Hauptstütze der Bourgeoisie. Denn sie sind wirklich Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung …, wirkliche Schrittmacher des Reformismus und Chauvinismus. Im Bürgerkrieg zwischen Proletariat und Bourgeoisie stellen sie sich in nicht geringer Zahl unweigerlich auf die Seite der Bourgeoisie …“ (W.I. Lenin, Vorwort zur französischen und deutschen Ausgabe zu „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, Ausgew. Werke, Bd. 1, S. 774). „Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung“, nennt Lenin sie hier, denn das ist ihre Aufgabe: die Arbeiterklasse abzuhalten von allen revolutionären Bestrebungen, sie zum friedlichen Arrangement mit dem Kapital und zur Unterstützung der eigenen Bourgeoisie gegen die fremden Bourgeoisien zu bringen. Für sie persönlich ist durch ihre privilegierte Stellung die soziale Frage gelöst, und so haben sie ein aktives Interesse an der Aufrechterhaltung des Kapitalismus, so dass sie sich – bewusst oder unbewusst – zum Vertreter der bürgerlichen Ideologie entwickeln. Sie drängen die Arbeiter auf die Schiene des Reformismus, tragen die Illusion in die Klasse, der Kapitalismus sei durch Reformen schrittweise zu verbessern und schließlich zu überwinden bzw. es gäbe keine Alternative zu ihm. Die Bourgeoisie braucht diese Handlanger in der Arbeiterklasse, die in ihr verankert und verwurzelt sind und die deshalb Einfluss auf ihr Denken und Handeln besitzen. Sie können die „Zusammenarbeit der Klassen, Verzicht auf die Diktatur des Proletariats, Verzicht auf die revolutionäre Aktion, rücksichtslose Anerkennung der bürgerlichen Legalität, Misstrauen dem Proletariat, Vertrauen der Bourgeoisie gegenüber“ (W.I. Lenin, Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationale, in: Werke Bd. 22, Berlin 1960, S. 111) wesentlich glaubwürdiger propagieren als die Bourgeoisie selbst. Damit werden die „grundlegenden Interessen der Massen den vorübergehenden Interessen einer Minderheit zum Opfer gebracht“ oder anders ausgedrückt „ein Teil der Arbeiter (geht) mit der Bourgeoisie ein Bündnis gegen die Massen des Proletariats“ ein (W.I. Lenin s.o.). Negative Höhepunkte dieser Politik waren die Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 und die kampflose Kapitulation vor dem Machtantritt des Faschismus.

Lenin betont jedoch, dass diese Entwicklung nicht das Ergebnis mangelnder Moral einzelner Arbeiterfunktionäre ist: „Alle stimmen darin überein, dass der Opportunismus kein Zufall, keine Sünde, kein Fehltritt, kein Verrat einzelner Personen, sondern das soziale Produkt einer ganzen historischen Epoche.“ (W. I. Lenin, Der Zusammenbruch der II. Internationale, Bd 21, S.243)

Da wir uns weiterhin in der Epoche des Imperialismus befinden, gehe ich von der These aus, dass die Theorie der Arbeiteraristokratie nach wie vor ihre Gültigkeit hat. Wenn wir nach den Ursachen suchen, warum die deutsche Arbeiterklasse sich zur Zeit so schwere Schläge versetzen lässt und warum nur so wenige Arbeiterinnen und Arbeiter sich für den revolutionären Weg entscheiden, dann müssen wir uns damit beschäftigen. Angesichts der gewaltigen Angriffe auf die Arbeiterklasse durch das Kapital ist es schon erstaunlich, wie wenig kampfbereit die deutsche Arbeiterklasse sich zeigt. Dies allein auf die erschwerten Kampfbedingungen zurückzuführen, ist nicht stichhaltig. Der Klassenkampf zu Beginn des Imperialismus in der Kaiserzeit war noch wesentlich härter und schwieriger. Es ist die Methode der Spaltung der Arbeiterklasse, die die Bourgeoisie damals wie heute meisterhaft beherrscht. Und die Arbeiteraristokratie trägt ihren Teil dazu bei, den Opportunismus in den Köpfen der Arbeiter zu verankern.

Marx stellte einmal fest, wenn sich die englische Arbeiterklasse auch nur einen Tag einig wäre, dann gäbe es keine Macht der Welt, die ihr widerstehen könnte. Deshalb benötigt die Bourgeoisie zu ihrer Rettung außer dem Sozialdemokratismus in den Köpfen der Arbeiterklasse auch die Arbeiteraristokratie, um diesen Sozialdemokratismus immer wieder zu bestärken und zu vertiefen. Das macht die Arbeiteraristokratie innerhalb der Arbeiterklasse zur sozialen Hauptstütze des Kapitals.

Doch wir müssen natürlich untersuchen, welche Veränderungen sich insbesondere seit dem 2. Weltkrieg ergeben haben. Wie setzt sich die Arbeiteraristokratie heute zusammen und welches Ausmaß hat sie? Wie wirkt der Opportunismus heute und welcher Mittel bedient er sich? Welchen Einfluss hat die Arbeiteraristokratie heute?

In den Betrieben braucht das Kapital nach wie vor die Meister, Vorarbeiter, Schicht- und Maschinenführer usw., die es besser stellt als die übrige Belegschaft. Diese besonders qualifizierten Kräfte sind weisungsbefugt gegenüber den andern Kolleginnen und Kollegen. Es gibt große Unterschiede zwischen ihnen: so kann eine Vorarbeiterin der Porzellanindustrie im Bayerischen Wald, deren Lohn unter dem Durchschnittslohn liegt, die gleiche herausragende Stellung unter ihren Kolleginnen haben wie ein Anlagenführer der Petrochemie in Köln, der das Doppelte verdient. Von den Arbeitern werden sie durchaus kritisch betrachtet.

Anders steht es mit den Betriebsräten, die die Masse vor allem der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter als ihre Vertreter gewählt hat. Von ihnen sind die freigestellten Betriebsräte von der Lohnarbeit befreit – eine große Errungenschaft der Arbeiterklasse. Aber diese Errungenschaft hat auch zu Gefahren geführt. Auch wenn die freigestellten Betriebsräte nur über ihren früheren Lohn verfügen, allein die Freistellung von der täglichen Hetze, der körperlichen Arbeit oder dem Stress im Büro bedeutet schon eine Besserstellung für sie. Sie müssen ihre Arbeitskraft nicht mehr verkaufen und haben weitgehenden Kündigungsschutz. Dazu kommt bei manchen die Meinung, man verhandele mit dem Chef auf Augenhöhe. Viele Betriebsräte bekleiden Ehrenämter (bei sozialen Einrichten z.B.) und politische Posten bei den reformistischen Parteien, die ihnen größere soziale Wertschätzung und Salonfähigkeit bei der Bourgeoisie bringen. Bei den Betriebsratsvorsitzenden können auch besondere Prämien u. a. mehr dazukommen. Natürlich gibt es auch die offene Bestechung, wie sie bei VW zum Vorschein kam, um diesen Arbeiterfunktionären ein Leben wie das der Bourgeoisie zu ermöglichen.

Ob die Oberschicht der Facharbeiter heute ebenfalls zur Arbeiteraristokratie gehört, ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Legt man die Lohnhöhe zugrunde, so ist ein Teil sehr wohl besser gestellt als der Rest der Klasse. So verdienen z.B. die Kernbelegschaften der großen Konzerne, vor allem in der Auto- und Chemieindustrie, weit über Tarif, also oft 20 Prozent darüber. Außerdem erhalten sie nicht nur ein 13., sondern meist auch ein 14. Monatsgehalt und andere Prämien. Allerdings sind sie oft härtester Akkord- und Schichtarbeit unterworfen, so dass sie über 55 den Anforderungen des Jobs nicht mehr standhalten können. Das eingerechnet, kann nicht behauptet werden, dass sie regelmäßig über dem Wert ihrer Arbeitskraft bezahlt werden. Daneben steht die Schicht der Facharbeiter, die nach Ecklohn bezahlt werden, also 100% des Tarifs verdienen, und die Masse der Un- und Angelernten in den niedrigeren Lohngruppen. Und schließlich folgt das unterster Drittel der Arbeiterklasse, das sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen durchschlagen muss und selbst bei Vollzeitbeschäftigung seinen Lebensunterhalt nur mit mehreren Jobs sichern kann. Die Differenzierung ist vom Kapital natürlich gewollt; man kann die Schichtung innerhalb der Arbeiterklasse auch nicht allein aus Unterschieden bei den Reproduktionskosten der Arbeitskraft, also z.B. der Länge der Ausbildung, erklären. Die scharfen Absenkungen, die das Kapital seit Anfang der 90er Jahre durchsetzen konnte, fanden bei der Arbeiterklasse insgesamt statt, nicht nur bei den privilegierten Arbeitern, so dass der Abstand zwischen den Schichten innerhalb der Arbeiterklasse geblieben ist. Die Privilegierung der Oberschicht der Facharbeiter hat sicherlich Einfluss auf ihr Bewusstsein, aber ich meine, von Korrumpierung kann generell nicht gesprochen werden; ihre Streikbereitschaft z.B. ist nicht geringer als die ihrer Kollegen. Und es gibt Beispiele, wo sie sich mit den von Verschlechterung bedrohten „Dienstleistern“ solidarisch zeigten u. a. m. Die Lohnunterschiede lassen meiner Meinung nach nicht den Schluss zu, dass die oberste Schicht der Facharbeiter gegenüber den unteren Lohngruppen bestochen ist, sondern dass ein großer Teil der Arbeitslöhne in der BRD unter dem aktuellen Wert der Arbeitskraft liegt. Hier wären aber unbedingt genauere Untersuchungen vonnöten, um diese Überlegungen präzisieren zu können.

Teilweise recht abgehoben von der Wirklichkeit in der Produktion ist die Arbeiterbürokratie, die hauptamtlichen Gewerkschaftssekretäre und –Vorstände, wie Bebel das schon 1905 auf dem Jenaer Parteitag entsetzt feststellte. Er berichtete, dass ein Teil der jüngeren Gewerkschaftsführer über den Sozialismus höhne und den Klassenkampf bestreite. Er sagte voraus, dass sie ihren eigenen Niedergang herbeiführen würden, ohne es zu wollen.

Die Einkommen der untersten Schicht der Gewerkschaftssekretäre liegen zwar nicht sehr viel höher als die eines Facharbeiters, doch die Angriffe auf Lohn, Arbeitszeit und Arbeitstempo erfahren sie nicht mehr am eigenen Leib. Vor allem erleben sie nicht die tägliche Existenzunsicherheit, die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Hier ist allerdings eine Differenzierung angebracht: Gehaltskürzungen, schlechte Bezahlung, Befristungen und Teilzeitjobs nehmen auch in den Gewerkschaftsapparaten zu.

Die Oberschicht der Arbeiterbürokratie verdient weit über dem Durchschnitt. Bei den Gewerkschaftsführern oder SPD-Abgeordneten (bei den wenigen, die überhaupt noch aus der Arbeiterklasse stammen!) betragen sie sogar das Dreifache bis zum Fünffachen eines Arbeiterlohns, und sie versuchen, in der Lebensführung der Bourgeoisie nachzueifern.

Der Einfluss der Arbeiterbürokratie ist innerhalb der Arbeiteraristokratie insgesamt sehr groß. Sie arbeitet mit der Arbeiteraristokratie in den Betrieben eng zusammen, und da sie den Betriebsräten oft an Wissen und Erfahrung überlegen ist, berät sie sie und beeinflusst sie. Die Gewerkschaftsbürokratie handelt die Tarifverträge für die ganze Klasse aus, und der Einfluss der Arbeiter dabei ist relativ gering (was nicht heißt, dass er nicht zu steigern wäre – das ist keine Satzungsfrage!). Sie ist augenblicklich das größte Hemmnis für den Klassenkampf.

Der Einfluss der SPD ist zwar in den letzten Jahren zurückgegangen, ist aber durch die Bindung immer noch großer Teile der Gewerkschaftsbürokratie an sie nicht zu unterschätzen.

Eine Folge davon ist, dass wir es zur Zeit nicht mit einer Einheitsgewerkschaft, wie sie auf dem Papier steht, zu tun haben, sondern mit einer sozialdemokratischen Richtungsgewerkschaft. Wenn auch immer weniger Gewerkschaftssekretäre und Betriebsratsvorsitzende das Parteibuch der SPD in der Tasche tragen, wenn auch einzelne Kommunisten ehrenamtliche Funktionen bekleiden oder Gewerkschaftssekretäre sind, besagt das noch wenig bezüglich der Linie. Der Sozialdemokratismus im Sinne von Klassenzusammenarbeit ist noch immer der bestimmende Geist und wird notfalls auch rücksichtslos durchgesetzt. Gewerkschaftsfunktionäre gingen und gehen aktiv gegen klassenkämpferische Kräfte in den Gewerkschaften vor bis hin zu zahlreichen Gewerkschaftsausschlüssen. Gewerkschaften, die mit dem deutschen Imperialismus sich gegen die DDR positionierten und die aktiv den Marxismus bekämpften und bekämpfen, können nicht als Einheitsgewerkschaften bezeichnet werden. Deshalb ist es unsere vordringlichste Aufgabe, uns für eine klassenkämpferische Einheitsgewerkschaft einzusetzen.

Als ökonomische Quelle für die Finanzierung der Arbeiteraristokratie dient nach wie vor der Extraprofit aus den Beziehungen zu den unterentwickelt gehaltenen Ländern, der auch nach der Unabhängigkeit der Kolonien nicht geringer geworden ist, im Gegenteil. Allerdings meinte der marxistische Wirtschaftswissenschaftler Eugen Varga schon 1964, dass „die Hauptquelle, um einen beträchtlichen Teil der Arbeiterklasse zu kaufen, … das rasche Wachstum der Arbeitsproduktivität (sei), ohne dass die Arbeitszeit entsprechend verkürzt wird.“ (E. S. Varga, Die Arbeiteraristokratie nach dem 2. Weltkrieg). So hat in der BRD seit 1950 bis 1989 hat eine Verdreifachung der durchschnittlichen Reallöhne stattgefunden. Die Arbeitsproduktivität in der Industrie stieg aber in dieser Zeit um das acht- bis zehnfache, also etwa dreimal höher als die Reallöhne. Die Ausbeutung durch das Kapital stieg also ebenfalls um das Dreifache (KAZ Nr. 249, S. 20). Angesichts des Sinkens der Reallöhne und der Verlängerung der Arbeitszeit in vielen Bereichen seit den neunziger Jahren dürfte dieser Faktor noch weiter gestiegen sein. Auch hier wäre eine konkrete Untersuchung nötig.

Einen Aspekt lasse ich hier völlig unberücksichtigt, und das ist die Privilegierung der Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern gegenüber dem Weltproletariat und die Privilegierung der deutschen Arbeiterklasse gegenüber denjenigen Teilen in der Klasse mit ausländischer Nationalität oder Abstammung. Die Privilegierung kann ja durch den normalen Verkauf der Arbeitskraft zustande kommen und bedeutet erst mal nicht, dass die Arbeiter der imperialistischen Länder auf Kosten der armen Völker leben. (s. Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 184, wo Marx darauf hin weist, dass einerseits die natürlichen Bedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Wohnung usw. „je nach klimatischen und anderen natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes“ verschieden sind. „Andererseits ist der Umfang sog. notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter andrem auch wesentlich davon ab, unter welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat.“). Sie kann aber auch durch Bestechung aus den Extraprofiten zustande kommen.

Das macht die Untersuchung besonders schwierig und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Die Hauptaufgabe der Arbeiteraristokratie besteht nach wie vor darin, die bürgerliche Ideologie zu verbreiten, und die marxistische Ideologie zu bekämpfen. Das gelingt ihr dann am besten, wenn sie sich in der Terminologie noch an alte klassenkämpferische Traditionen anlehnt, besser als der Bourgeoisie selbst. Ihre ideologischen Hauptinstrumente sind Beschränkung auf legale Tätigkeit, Verherrlichung der bürgerlichen Demokratie und des Parlamentarismus, Verbreitung der Auffassung, dass der bürgerlich-demokratische Staat über den Klassen stehe, Chauvinismus und Antikommunismus.

Das hat erhebliche Folgen für die praktische Politik der Gewerkschaft. Der Kampf gegen Faschismus und Krieg ist bei ihr seit vielen Jahren sehr schlecht aufgehoben. Weder erfolgte ein Einspruch gegen den Überfall auf Jugoslawien – die Mehrheit der Gewerkschaftsführungen unterstützte und verteidigte ihn - noch wird konsequent gegen die weiteren Auslandseinsätze der Bundeswehr mobilisiert. Selbst der Protest gegen den Abbau unserer tariflichen und sozialen Rechte ist lau, von Organisierung des Widerstands ganz zu schweigen. Großdemonstrationen gegen den Sozialkahlschlag bleiben nur ein Dampfablassen, wenn nicht die Aktionen in den Betrieben weitergeführt werden.

Das ist eine Besonderheit der deutschen Arbeiteraristokratie. Denn von der massiven Verschlechterung der Kampfbedingungen nach der weltweiten Niederlage des Sozialismus und der verstärkten Internationalisierung des Kapitals ist die Arbeiterklasse auch in den andern imperialistischen Ländern betroffen. Dort aber wehrt sie sich viel konsequenter und heftiger, was auch soziale Verschlechterungen teilweise verhindern konnte.

Eines der dort eingesetzten Mittel ist der politische Streik oder Generalstreik, den die deutsche Gewerkschaftsbürokratie heftig seit Jahrzehnten ablehnt (schon Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht führten darüber die Auseinandersetzung!). Anstatt festzustellen, dass die Angriffe des Kapitals so schwer und tief greifend sind, dass nur bei gemeinsamer Gegenwehr aller Gewerkschaften zusammen die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse verteidigt werden können, klammert sie sich an den Legalismus: „Gegen eine demokratisch vom Volk gewählte Regierung streiken wir nicht!“ Damit macht sie die Arbeiterklasse wehrlos gegenüber den fortgesetzten Kapitalangriffen auf unsere demokratischen und sozialen Rechte und gegenüber faschistischen Angriffen. Und statt die Macht der Arbeiterklasse einzusetzen, verweist sie auf Wahlen. Die Klasseninteressen werden so dem bürgerlichen Parlament und der bürgerlichen Justiz unterworfen.

Natürlich muss der politische Streik erst propagiert und gezielt vorbereitet werden, einfach abrufbar ist er nicht. Aber der Kampf dafür ist dringend erforderlich. Rechte erkämpft man, indem man sie sich nimmt. Für uns Kommunisten ist die Heranführung der Arbeiterklasse an den politischen, an den Massen- oder Generalstreik zudem eine Frage des Herankommens an die Revolution.

Aber selbst im tariflichen Kerngeschäft, bei Lohn und Arbeitszeit, führt die Gewerkschaft die Arbeiter von Niederlage zu Niederlage und verkauft dann das Ergebnis auch noch als Erfolg.

Sie unterstützt die Standortideologie der Bourgeoisie ideologisch und ganz praktisch beim Co-Management. Diese Klassenzusammenarbeit mit Zustimmung zu Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung wirkt sich als direkte Unterstützung des deutschen Kapitals gegenüber seiner imperialistischen Konkurrenz aus.

Ein Beispiel ist der sog. „Pforzheimer Kompromiss“ der IGM-Führung vom 16.02.2004, der die Grundlage für Hunderte von sog. Standortsicherungsverträgen legte. Durch Verzicht auf wesentliche Teile des Flächentarifvertrags sollen angeblich Jobs gerettet werden - früher mal hieß es noch „Verzicht sichert keine Arbeitsplätze“. Statt den gemeinsamen Abwehrkampf zu führen, statt die von Erpressung durch das Kapital bedrohten Betriebe zusammenzuführen, ließ die IGM es zu, dass sie einzeln vom Kapital vorgeführt werden und zimmerte noch die Rahmenbedingungen dazu. Inzwischen gibt es Proteste und kritische Stellungnahmen aus den Betrieben und gewerkschaftlichen Gremien, doch auch sie konnten die IGM-Führung von diesem Kurs bisher nicht abbringen.

Auch mit dem Tarifabschluss 2006 hat die IG Metall den Kollegen ein faules Ei beschert. Die vereinbarte Öffnungsklausel legte die Aushandlung einer Pauschale von 310 Euro in die Hände der sog. Betriebsparteien, womit die IGM ihr Streikrecht zur Durchsetzung solcher Forderungen praktisch abgab. Die Abweichungen nach unten waren bei sechs bis neun Prozent der Betriebe relativ gering, und es gab auch Abweichungen nach oben – so dass das Ergebnis breite Zustimmung bei den Gewerkschaftsmitgliedern fand. Aber die Öffnung des Tarifs birgt die Gefahr, dass zukünftig noch viel mehr Regelungen in die Hände der Betriebsparteien gelegt werden und so diese immer wieder vom Kapital geforderte Verbetrieblichung weiter ausgebaut wird. Dementsprechend wurde der Abschluss von vielen Kapitalvertretern als „Durchbruch“ gelobt. Und im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen weiß die IGM-Führung um die Gefahren, die dem Tarifvertrag dadurch drohen.

Und noch ein letztes Beispiel (dem viele weitere hinzuzufügen wären): In zahllosen Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, abgeschlossen von verschiedensten Einzelgewerkschaften, werden die Lohn- und Arbeitsbedingungen für die „alten“ Belegschaften abgesichert und wird den vom Kapital geforderten Absenkungen für die Neueingestellten zugestimmt. Dies ohne den Versuch zu wagen, die Kolleginnen und Kollegen gemeinsam zum Abwehrkampf zu mobilisieren. Damit wird die Spaltung der Belegschaften in Kauf genommen und werden Arbeitskämpfe in Zukunft noch schwieriger.

Alles in allem läuft die gegenwärtige Politik der Gewerkschaften auf ein Nurgewerkerschaftertum im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft hinaus, und das auf schlechtestem Niveau. „Klassenkampfgerümpel“ und Sozialismusdiskussionen wurden entsorgt, Debatten über Zukunftsvorstellungen finden nun ohne sie statt. Die Arbeiteraristokratie hält die Herrschaft des Kapitals für unabänderlich. Ohne eine Vorstellung einer anderen Gesellschaft – und sei sie noch so vage - kann aber auch der tägliche Verteidigungskampf nicht in der notwendigen Weise geführt werden.

Dieser These scheint die Praxis der Gewerkschaften bis in die achtziger Jahre zu widersprechen: gab es da nicht den Kampf um die 35-Stunden-Woche, die betrieblichen Aktionen gegen den Angriff der Regierung mit dem sog. Antistreikparagraphen (bis 1986 § 116 Arbeitsförderungsgesetz, heute § 146 Sozialgesetzbuch III)?

Es ist richtig, den Gipfel des Opportunismus erreichten die deutschen Gewerkschaftsführungen erst wieder nach 1990 mit ihrer Unterstützung des Kriegskurses der Bundesregierung, während es früher immerhin noch eine achtbare antimilitaristische Arbeit in den Gewerkschaften gab. Aber das lag hauptsächlich daran, dass die Kriegseinsätze der Bundeswehr vor 1990 noch verboten waren. Der Kampf gegen die Remilitarisierung wurde von ihnen aufgegeben, nachdem der Bundestag sie beschloss – danach hieß die Parole, eine bessere Regierung zu wählen! Und der Bewegung gegen die Notstandsgesetze brachen sie im entscheidenden Moment die Spitze ab. Legalismus, Chauvinismus und Antikommunismus vertraten sie also schon vorher. Den tariflichen Kampf führten sie entschlossener als heute, aber im internationalen Vergleich war die Zahl der Streiktage in Westdeutschland lächerlich gering. Sogar die vom Kapital viel gerühmten Japaner haben mehr gestreikt als die Westdeutschen. Auch früher reizten sie also nicht die mögliche Stärke der Arbeiterklasse aus. Es bestand immer ein eklatanter Widerspruch zwischen Wort und Tat. Die Ursache für die damalige größere Kampfbereitschaft der Arbeiteraristokratie ist darin zu sehen, dass vor 1990 die Arbeiterklasse national wie international stärker war.

Ein weiterer Einwand gegen die Theorie der Arbeiteraristokratie ist, dass das Bewusstsein der Arbeiterklasse auch nicht höher sei als das ihrer betrieblichen und gewerkschaftlichen Vertreter. Aber es geht gar nicht darum, auf der einen Seite Arbeiterverräter anzuprangern, auf der andern Seite eine kampfbereite Arbeiterklasse zu vermuten, die von der Arbeiteraristokratie an revolutionären Taten gehindert wird. So einfach ist das nicht. Beide stehen in dialektischem Zusammenhang miteinander.

Denn zum einen ist die Entfremdung von den Interessen der Arbeiterklasse kein Automatismus beim Genuss von Privilegien. Es gilt: die soziale Lage macht anfällig für den Schritt auf die andere Seite oder gar den Verrat, eine notwendige Folge ist er nicht. Wir müssen einerseits feststellen, dass die Arbeiteraristokratie die Klasse objektiv verrät, Verräter aber im subjektiven Sinne ist nur eine Minderheit. Und andererseits gibt es auch klassenkämpferische und revolutionäre Kolleginnen und Kollegen innerhalb der Arbeiteraristokratie. Vor allem beim antifaschistischen Kampf können Teile von ihnen zum Bündnispartner werden. Da durch den Faschismus ihre eigene Existenz gefährdet ist, besteht hier ein objektives Interesse von ihnen.

Umgekehrt ist das Klassenbewusstsein der überwiegenden Zahl der Kolleginnen und Kollegen und auch der Gewerkschaftsmitglieder gering. Das ist eine Folge der jahrzehntelangen Sozialpartnerschaftspolitik, die die Arbeiteraristokratie zu verantworten hat, und heute ist die Sozialpartnerschaft längst in den Köpfen der Arbeiter verankert. Richtig ist, dass die Arbeiteraristokratie nur so selbstbewusst agieren und sich die Gewerkschaft offensiv zu Eigen machen kann, weil die Masse der Kolleginnen und Kollegen sie nicht daran hindert. Es ist ihre Passivität und Uninformiertheit, ihr mangelndes Klassenbewusstsein und ihr Hoffen, dass es schon jemand für sie richten werde, sei es in der Gewerkschaft, sei es von einer Partei. Der Kampf gegen die Stellvertreterpolitik gehört deshalb zu unseren vordringlichsten Aufgaben, denn die Konsequenz ist ein eigenständiges Denken von den Belegschaften.

Man muss zugeben, dass erst eine Minderheit der Gewerkschaftsmitglieder von ihrer Führung einen entschlossenen und konsequenten Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals fordert. Dort aber, wo die Arbeiterklasse sich kämpferischer zeigt als von der Arbeiteraristokratie erwünscht, wird sie ausgebremst. Kritische Diskussionen über Tarifverträge sind nicht gern gesehen, so dass Lernprozesse nicht in Gang gesetzt werden. Die Bildungsarbeit, die immer einen Schub an kämpferischem Potential brachte, wird vom Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit entsorgt und insgesamt heruntergefahren.

Welche Konsequenzen sind von uns aus dieser Analyse zu ziehen? Wie können wir den Kreis des Opportunismus durchbrechen? Dürfen wir überhaupt die Gewerkschaften so scharf angreifen, da sie doch von Rechts so massiv unter Beschuss stehen? Die Antwort auf letzteres ist einfach: wenn wir den Opportunismus nicht angreifen und wenn es uns nicht gelingt, ihn zurückzudrängen, werden die Gewerkschaften sich selbst weiter demontieren bis hin zur völligen Bedeutungslosigkeit.

Wie also vorgehen? Natürlich werden wir den Kolleginnen und Kollegen nichts von „Arbeiterverrätern“ erzählen – wenn sie es nicht selbst so erleben und auch so formulieren. Die Hauptseite ist sicherlich, in Betrieb und Gewerkschaft regelmäßig die aktuelle Betriebs- und Gewerkschaftspolitik – bezogen auf die konkreten Bedürfnisse der Kollegen - der Kritik, zu unterziehen, positiv wie negativ. Die Kontrolle der Betriebsräte und der Arbeiterbürokratie muss normal werden, ohne dass die Kritiker mundtot gemacht werden. Es ist schon gelungen, durch massive Proteste aus den Betrieben Tarifabschlüsse zu kippen und die Arbeiterbürokratie zum Nachverhandeln zu zwingen. Es ist auch kein Gesetz, dass die Arbeiteraristokratie oder alle Teile von ihr in jeder Lage auf Seiten der Bourgeoisie stehen. Das hängt u. a. vom Druck aus den Betrieben ab.

Denn die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Großbetrieben, durchaus auch die Oberschicht der Facharbeiter, haben in den letzten Jahren wieder gezeigt, dass sie eine enorme Kampfstärke entwickeln können, wenn sie von Verschlechterungen oder gar von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Sie werden von uns gewinnbar sein, wenn sie verstanden haben, dass Arbeitslosigkeit und Sozialabbau nicht eine vorübergehende Frage, sondern eine Frage des Kapitalismus sind, und dass alle Standortabkommen auf Dauer nichts nützen. Bisher konnte die Kampfstärke dieser Belegschaften von der Gewerkschaftsbürokratie und den Betriebsratsfürsten im Zaun gehalten werden - mit Demagogie wie mit Druck. Doch die Niederlagen können nicht ewig schön geredet werden. Klassenbewusstsein entsteht vor allem im Kampf und bei Vertiefung der im Kampf gewonnenen Einsichten durch die Erfahrung der Arbeiterbewegung und den wissenschaftlichen Sozialismus.


Da der Artikel schon 2007 geschrieben wurde, hier einige aktuellere Beispiele als Nachtrag:


Verrat gegenüber der Gewerkschaftsbewegung“, so heißt die Begründung des Ausschlussantrags der Transnet-Ortsverwaltung in Husum gegen den gebürtigen Husumer Norbert Hansen. Da ist es wieder das alte Wort, das schon ganz aus der Mode gekommen war: Verräter, Arbeiterverräter. Dabei hatte Hansen doch als Gewerkschaftsvorsitzender nichts anderes gemacht als in seiner neuen Funktion im Vorstand der Deutschen Bahn. Er hat erst die Privatisierung und dann den Börsengang der Bahn vorbereitet, die Kollegen geködert für weit reichende Zugeständnisse – Verlängerung der Arbeitszeit, größere Belastung usw. - mit angeblicher Beschäftigungssicherheit. Die sah so aus, dass seit der Privatisierung der Bahn 1994 („Bahnreform“) rund 200 000 Arbeitsplätze im Bereich des Schienenverkehrs und der Bahntechnik abgebaut wurden. Auch in der SPD hat er mit allen Tricks Widerstände gegen die Privatisierung bekämpft.

Hansen entlarvte sich nach seinem Übertritt zum Bahnvorstand gleich gründlich, er forderte schon in seinen ersten Interviews Personalabbau, meinte, die Zugbegleiter und Lokführer könnten auch ein bisschen die Abteile putzen und so. Er forderte „Effizienzsteigerung bei den Mitabeitern“ und verteidigte die Pläne zur Ausgliederung Tausender Beschäftigter in Dumpinglohntöchter. Sogar Mehdorn, sein neuer und alter Chef, war diese Offenheit zu viel und pfiff ihn zurück. Im Grunde tat Hansen den gleichen miesen Job schon vorher, als er vorgab, die Kollegen gegen die Angriffe des Kapitals zu schützen. Der Bild-Zeitung gegenüber erklärte er: „Die Führung einer großen Gewerkschaft und die Arbeit im Vorstand eines Großunternehmens unterscheiden sich kaum. In beiden Fällen hat der Chef in erster Linie die Verantwortung für die Mitarbeiter und er muss für den Erfolg des Ladens sorgen.“

Erst seit seinem offenen Seitenwechsel auf die Seite des Kapitals wurden massive Proteste von Transnet-Mitgliedern und Forderungen nach dem Rücktritt des gesamten geschäftsführenden Vorstands laut. Mit Wut und Empörung reagierten viele Kollegen. Aber die Forderungen nach einem Neuanfang und Kurswechsel konnten sie bislang nicht durchsetzen. Der Ausschlussantrag aus Transnet wurde abgeschmettert. Und so führt Hansens bisheriger Stellvertreter die Geschäfte weiter wie gehabt. Hansen konnte sogar behaupten, der geschäftsführende Vorstand der Transnet habe seine Entscheidung sogar begrüßt.

Warum haben die Kollegen den Hansen-Kurs so lange hingenommen? Zum einen hat Hansen kritische Kollegen erbarmungslos verfolgt und mundtot gemacht oder gekauft und integriert. Gewerkschaftssekretäre wurden mit Kündigung bedroht, würden sie gegen den Börsengang Stellung nehmen. In den Gewerkschaftszeitungen sowie auf Veranstaltungen wurde jegliche Diskussion unterbunden. Auf dem Gewerkschaftstag sprach deshalb nur ein einziger Delegierter gegen den Börsengang. Die Transnet handelte als Hausgewerkschaft des Bahnvorstands. Hansen verstieß nicht nur gegen die Interessen der Kollegen, sondern auch gegen die Beschlüsse der eigenen Gewerkschaft. Aber er konnte nur deshalb die Kapitalinteressen so ungeniert vertreten, weil er gedeckt und gefördert wurde durch viele Mitglieder der Transnet-Führungsgremien. Co-Management gilt immer noch als eine seriöse Option in allen Gewerkschaften, nicht nur in der Transnet.

Für eine andere Variante des Karrierismus eines Arbeiteraristokraten steht Walter Riester. Sie ist häufiger als der offene Seitenwechsel zum Kapital, nämlich die Übernahme eines Regierungsamtes durch einen hohen Gewerkschaftsfunktionär. Riester war stellvertretender Vorsitzender der IG Metall und wurde Arbeitsminister unter Schröder. Nachdem er erst 2001 beträchtliche Rentenkürzungen durchgesetzt hatte, ist er danach als Namensgeber der „Riester-Rente“ in die Geschichte eingegangen. Er ist aber einer der wenigen, denen sie tatsächlich den Ruhestand versüßen wird. Inzwischen Bundestagsabgeordneter, hat er seit Beginn der Legislaturperiode 284 000 Euro nebenher verdient zusätzlich zu seinen Angeordnetenbezügen, hauptsächlich mit Vorträgen bei Versicherungen, Sparkassen und Finanzberatern. Seine Diät von derzeit 7339 Euro bessert er so um fast 10 000 Euro auf. Die Honorare sind der Dank für die Zerstörung der gesetzlichen Rentenversicherung durch deren Nutznießer.

Der Opportunismus ist natürlich nicht auf die hohen Chargen begrenzt, sondern auch schon bei einfachen Betriebsräten anzutreffen, seien sie gewerkschaftlich organisiert oder nicht. Ein Beispiel ist Ihsan Balo, Betriebsrat im Münchner BMW-Werk für die Karosseriebauer. Wie die SZ berichtete, empfängt er in seinem BR-Büro ganz lässig, wie auf gleicher Ebene, Norbert Reithofer, den Vorstandsvorsitzenden der BMW. Er kennt ihn seit dessen Zeit als Abteilungsleiter. Reithofer hatte 1990 den Auftrag der Geschäftsleitung, die Zahl der Beschäftigten in drei Jahren von 16 000 auf 10 000 zu verringern. Da gab es natürlich erst mal Zoff. Dann aber, so liest man es in der SZ (8.5.08), baute Balo dem Manager eine Brücke und sagte: „Wir klären alles unter vier Augen.“ Was dann, über die Köpfe der Kollegen hinweg, vereinbart wurde, berichtet die SZ leider nicht mehr.

Die Ebene zwischen den Führungsgremien der Gewerkschaften und den einfachen BR-Mitgliedern bilden die mächtigen Betriebsratsfürsten wie Klaus Volkert (VW), Klaus Franz (General Motors, Opel) oder Erich Klemm (Daimler).

Volkert war lange Jahre bei VW entscheidend für die Durchsetzung der Strategie der Geschäftsleitung gegenüber der Belegschaft. „Für den Personalchef Peter Hartz waren Betriebsräte und die Gewerkschafter in den Betrieben die unverzichtbaren Transmissionsriemen zwischen Werksleitung und Belegschaft. Er (Hartz) wird nicht müde klarzumachen, dass ohne die Mobilisierung der gewählten Arbeitnehmervertreter Geschäftsleitungen in großen Unternehmen keine Chance haben, ihre Pläne umzusetzen. Hartz ist deshalb ein energischer Befürworter der Mitbestimmung.“ (Arno Widmann über Gespräche mit Hartz, FR 24.3.07). Als die Zeiten kamen, in denen das Kapital Volkert nicht mehr brauchte und ihm einen Tritt gab, stolperte auch Hartz darüber. Hartz, gelernter Industriekaufmann, war übrigens ebenfalls über die IG Metall nach oben gekommen, er war Arbeitsdirektor der Dillinger Hütte, bevor er zu VW wechselte.

Diese großen Betriebsratfürsten bestimmen bei der IG Metall ganz wesentlich die Politik. Der Streik für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland im Jahre 2003 ging verloren, weil sie nicht bereit waren, Unterstützungsstreiks zu führen. Sie haben nur den „eigenen“ Betrieb im Blick, d.h. Standort Stuttgart, München, Rüsselsheim, Wolfsburg usw. Die Verweigerung gewerkschaftlicher Unterstützung für die Kollegen im Osten war nicht nur unsolidarisch, sondern auch äußerst kurzsichtig, weil danach die 35-Stunden-Woche auch im Westen von den Unternehmern angegriffen wurde.

Ideologische Ursache für diesen Verrat an den Interessen der Beschäftigten ist das Standortdenken der Gewerkschaftsführungen. Sie haben voll die bürgerliche Ideologie übernommen. Anders jedoch als in den Zeiten des sog. Wirtschaftswunders, wo noch ein paar Brosamen für die Belegschaften rüber kamen, wirkt sich die Klassenzusammenarbeit heutzutage nur noch negativ für die Arbeiter und Angestellten aus. Die Belegschaften bluten für eine angebliche Beschäftigungssicherheit, die aber vom Kapital nie ernst gemeint ist und durch Rücktrittsklauseln schon bei Vertragsbeginn ad absurdum geführt wird.

Man könnte jede Menge Stellungnahmen von Betriebsräten oder Gewerkschaftsspitzen zitieren, hier nur einige:

Der Konzern-BR-Vorsitzende Bernd Osterloh, Volkerts Nachfolger bei VW zu den Plänen des Konzerns für ein eigenes Werk in den USA: „Wenn wir Toyota überholen wollen und unsere erfolgreiche Wachstumsstrategie fortsetzen wollen, dann müssen wir in den USA Marktanteile gewinnen.“ (jW 13.5.08). Ist es das Interesse der Kollegen, Toyota zu überholen?

Josef Falbisoner, bayerischer Landesvorsitzender von verdi und im Aufsichtsrat der Telekom, zur Spitzelaffäre der Telekom: Er ist äußerst entsetzt über die „kriminelle Energie“ der Telekom, dass sie versucht habe, „uns als Arbeitnehmervertreter in unsern Rechten zu beschneiden.“... „Dieser Verdacht, wir hätten geheime Firmendaten weitergegeben, ist geradezu absurd. Wir wollen, dass es der Telekom gut geht.“ Die Betriebsräte würden mit Angst reagieren. „Die Unsicherheit ist groß, inwieweit man dem eigenen Arbeitgeber trauen kann, das ist verheerend für das Betriebsklima.“ (SZ 31.5.08) Dass Misstrauen gegenüber dem Unternehmer geboten ist, dass ihm alles zuzutrauen ist, dass Profite nicht zum Wohle der Belegschaft angelegt werden, sondern um die Telekom zum global player auszubauen, das alles liegt Falbisoner fern.

Gedanken zum Wohle des Betriebes macht sich auch Klaus Franz, BR-Vorsitzender bei Opel Rüsselsheim. Er schlug dem Management von GM, dem Mutterkonzern, vor: die nächste Generation des Chevrolet Epica in Rüsselsheim bauen zu lassen – zum Preis der Materialkosten. Das soll durch ein sog. „Korridormodell“ möglich werden, d. h. flexible Wochenarbeitszeiten als Bestandteil eines sog „Zukunftssicherheitsvertrags“. Bis 2018 sollen demnach jede der drei Schichten bis zu 15 Samstage pro Jahr zusätzlich arbeiten – unentgeltlich natürlich!

Oder die Stellungnahme von 45 IG Metall Betriebsräten aus Werken in ganz Deutschland, die am 24.4.08 die Auswirkungen der neuen Siemens-Strategie berieten: „ ‚Invented & Made in Germany’ war und ist die Stärke von Siemens. Diese sehen wir gefährdet durch den absehbaren Rückzug aus den lokalen Projektgeschäften und den Services, die nicht mehr zu den weltweiten ‚Kerngeschäften’ gehören sollen... Wir fordern erneut eine auf wirkliche Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmensstrategie auf Basis eines erfolgreichen Auftritts von Siemens auf den deutschen und europäischen Heimatmärkten.“...“Eine vorwiegend an Kostenoptimierung und den Billigmärkten der Welt orientierte Strategie der Siemens-Weltunternehmer wird die Wettbewerbsfähigkeit von Siemens in der Welt und damit auch Arbeitsplätze in Deutschland und Europa gefährden.“ Ganz am Schluss kommt die Sorge um die Arbeitsplätze der Kollegen, als Anhängsel der Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit von Siemens. So als wüssten sie nicht, dass die Arbeitsplätze Siemens schnurzegal sind, wenn nur die Kasse stimmt. Als wüssten sie nicht, dass die Kurse steigen, wenn Entlassungspläne auf den Tisch kommen. Statt sich an die Kollegen zu wenden, sie aufzuklären und zu mobilisieren, appellieren sie an den Kapitalisten, eine bessere, „nachhaltigere“ Geschäftspolitik zu betreiben. Die Gewinne waren noch nie die Arbeitsplätze von morgen, wie mal Helmut Schmidt meinte, sondern sie werden zur Rationalisierung eingesetzt und zum Aufkauf von Konkurrenzbetrieben usw. Kein Wunder, dass sich der Konzern-BR jetzt mit Siemens auf einen „sozialverträglichen“ Arbeitsplatzabbau geeinigt hat, ohne Kampfmaßnahmen einzuleiten.

Aber die Volkerts, Klemms und Franz’, die Hubers, Peters oder Bsirskes wirken ja nicht als Einzelpersonen. Sie bestimmen die Politik und die Ideologie der Gewerkschaften.

Betriebliche Politik und Tarifverträge greifen ineinander. Die IG Metall reagierte z. B. auf den Druck des Kapitals in den Betrieben, die Arbeitszeit zu verlängern, d. h. die betriebliche Durchlöcherung der 35-Stunden-Woche, 2004 mit dem Pforzheimer Abkommen, womit tariflich festgesetzte Errungenschaften weitgehend außer Kraft gesetzt werden können. Sie sanktionierte damit die Praxis der Kapitulation, statt die Gewerkschaftsmitglieder dagegen zusammenzuschließen. Die unentgeltliche Verlängerung der Arbeitszeit ist seitdem das Kernstück aller „Beschäftigungssicherheitsverträge“, um die Wettbefähigungsfähigkeit der deutschen Metallindustrie zu sichern. 75% aller tarifgebundenen Betriebe nutzen bereits solche Differenzierungs- und Öffnungsklauseln, die auch niedrigere Einstiegs- und Grundtarife, Kürzung von Sonderzahlungen und vieles mehr vorsehen. Mit dem Segen der IG Metall. Inzwischen wird im Metallbereich wieder 40 Stunden im Schnitt gearbeitet. 41 Jahre wurden so zurückgedreht, die mühsam erkämpfte Arbeitszeitverkürzung zunichte gemacht.

Angeblich sicherte so die IG Metall den Erhalt des Flächentarifvertrags, angeblich ging es ihr darum, der Gewerkschaft ein Mitspracherecht bei diesen Verträgen zu sichern – aber das Abkommen ist doch nur eine Folge der jahrzehntelangen sozialpartnerschaftlichen Politik. Genauso war es mit ERA, einer Einladung an die Unternehmer zur Lohnsenkung.

Man könnte ähnlich die Tarifverträge, die verdi in den letzten Jahren abgeschlossen hat, daraufhin untersuchen und zerpflücken.

Noch viel ausgeprägter ist die Zusammenarbeit mit dem Kapital in der Chemiegewerkschaft IG BCE. Deren Politik der IG BCE kann als neokorporatistisch bezeichnet werden, d. h. es existiert ein paktähnliches Absprachesystem mit den Unternehmern, eine enge Verflechtung zwischen Kapital, Gewerkschaft und Politik.

Längst auch hat sich diese Denkweise auch in Gewerkschaftsprogrammen und Bildungsmaterialien niedergeschlagen. Vom Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital – früher eine Selbstverständlichkeit in den Schulungskursen zumindest von Metall und Druck - ist nichts mehr zu hören.

Ein Beispiel aus dem verdi-Programm-Entwurf, der zum Glück bisher nicht verabschiedet wurde: Der Kapitalismus wird in ihm prinzipiell positiv eingestuft: „Die auf dem Privateigentum beruhende kapitalistische Marktwirtschaft, die unsere Wirtschaftsordnung bestimmt, hat sich in vieler Hinsicht als leistungsfähig erwiesen. Zweifellos zählen das Wachstum des materiellen Wohlstands, Produktivitätsgewinne und wirtschaftliche Effizienz, Innovationsfähigkeit und die Überwindung gesellschaftlicher und räumlicher Schranken zu den Aktivposten.“ Daran stimmt nichts, aber auch gar nichts: Die Phase der Marktwirtschaft, der freien Konkurrenz, wurde mit dem Beginn des Imperialismus längst überwunden, der Wohlstand der Arbeiterklasse nimmt rapide ab statt zu, der Kapitalismus ist nicht effizient, sondern beruht auf der Ausbeutung der Arbeiterklasse und ist von gravierenden Fehlsteuerungen, Ressourcenverschwendung und Zerstörung der Natur geprägt. Seine Innovationsfähigkeit ist dem Profitprinzip untergeordnet und deshalb äußerst begrenzt. Die Spaltung der Gesellschaft in unvorstellbaren Reichtum und namenloses Elend ist so groß wie nie. Die Hoffnung auf das Eingreifen des Staats zeigt, dass das Wesen des Imperialismus (insbesondere nach dem Fall des Sozialismus), wo die Monopole sich den Staat immer mehr unterordnen und dieser den Vorreiter bei der gesellschaftlichen Umverteilung spielt, nicht begriffen wird.

Aber gibt es nicht Gegenbeispiele? wie steht es mit dem mutigen Kampf der GDL um höheren Lohn?

Bei aller Achtung vor dieser Auseinandersetzung - man wird das CDU-Mitglied Schell kaum als linken Klassenkämpfer bezeichnen können. Viel hat sich die GDL unter seiner Führung bieten lassen, die skandalösen Urteile der Klassenjustiz akzeptiert, sich immer wieder hinhalten lassen, statt durch einen unbefristeten Streik den Zugverkehr zum Erliegen zu bringen, was schon in greifbare Nähe gerückt war. Dem allem ist geschuldet, dass das Ergebnis auch nicht so gut war, wie in der Presse dargestellt, so die Kritik aktiver GDL-Mitglieder. Dazu kommt auch die inkonsequente Haltung der GDL zur Privatisierung der Bahn, die nie prinzipiell abgelehnt wurde. Deshalb ist das Verhalten der GDL-Führung zum einen darauf zurückzuführen, dass ein völliges Einknicken die Existenz der GDL gekostet hätte. Und zusätzlich saß ihr die Entschlossenheit und Kampfbereitschaft der Kollegen im Genick.

Es bleibt dabei, wie Marx sagte: wenn sich die englische Arbeiterklasse auch nur einen Tag einig wäre, dann gäbe es keine Macht der Welt, die ihr widerstehen könnte. Die Kapitalisten wissen das besser als die Arbeiter selbst. Und deshalb organisieren sie sich zu ihrer Rettung Unterstützung aus den Reihen der Arbeiter. Das ist das beste Rezept zur Spaltung und Desorientierung der Arbeiterklasse. Denn kein Vertreter der Bourgeoisie kann den Einfluss, kann die Glaubwürdigkeit in der Arbeiterklasse finden wie einer, der aus ihren Reihen selber kommt.

Wie zieht es sich diese Unterstützer heran?

Was haben die geschilderten Personen gemeinsam?

Sie kommen aus der Arbeiterklasse, sind aufgestiegen durch ihre Klasse, in Betriebs- und Personalratsposten, in Gewerkschaftsfunktionen, von dort aus dann in Leitungsfunktionen für Regierung und Kapital.

Hansen z. b. machte seinen Weg vom Rangierer über den Gewerkschaftsvorsitzenden bis zum Vorstandsmitglied der Bahn. Seine Bezüge konnte er beim letzten Sprung verdoppeln.

Der gelernte Fliesenleger Riester wurde Jugendgewerkschaftssekretär, dann Bezirksleiter der IG Metall, dann stellvertretender IG Metall-Vorsitzender, schließlich Minister.

Klaus Volkert war Schmid, dann Mechaniker bei VW und stieg zum BR-Vorsitzender auf. Seine Sonderboni, die ihm Hartz bewilligte, machten in 10 Jahren zwei Millionen aus. Auch er verdoppelte so sein Gehalt.

So könnte man fortfahren.

Sie sind mehr oder weniger alle korrumpiert. Die Korrumpierung in der Art wie bei Volkert mit einem Luxuslebensstil und Lustreisen ist sicher die Ausnahme. Wenn auch das Kapital diese Möglichkeiten sehr wohl in Betracht zieht.

So stellte 1951 ein bekannter Wirtschaftsführer zum Mitbestimmungsgesetz in Düsseldorf fest: „Wir werden das Gesetz aushöhlen. Nach einigen Jahren werden die Arbeiter ihre Vertreter aus den Betrieben hinausjagen. Die Arbeitsdirektoren bekommen sofort die größten und luxuriösesten Personenwagen. Wir bauen ihnen Villen und geben diesen eine Luxusausstattung, die diese Bonzen korrumpieren. Mit Hilfe der Aufsichtsratsvergütungen sind so viele Möglichkeiten der Manipulierung gegeben, dass sich die Gewerkschaftsbonzen in den ihnen gelegten Schlingen nicht mehr bewegen können.“ (zit. nach WISO, 15.3.1958, H. 6, S. 99)

Aber meistens geht es viel billiger, Bestechung in den Reihen der Bourgeoisie ist wesentlich teurer. Manchmal reicht schon ein Schulterklopfen, ein scheinbar gleichberechtigtes Verhandeln wie bei Ihsan Balo, dem türkischen BR bei BMW. Das Gehalt ist nur eine, wenn auch die wichtigste Form der Bestechung.


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