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Sozialismuserfahrungen und
zeitgemäße Sozialismuskonzeption
Ekkehard
Lieberam
Erstens:
Eine knappe, einprägsame positive Bilanz der Erfahrungen des
Realsozialismus für die Zukunft des Sozialismus, vergleichbar
mit der Aussage von Karl Marx nach der Pariser Kommune (aus
heutiger Sicht sicherlich eine Überinterpretation dieser
Erfahrungen), das sei "die endlich entdeckte politische Form,
unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich
vollziehen" kann bzw. "die politische Form der
sozialen Emanzipation der Arbeit von der Usurpation (der
Sklaverei) der Monopolisten der Arbeitsmittel" (MEW, Bd. 17,
S. 342und 545), ist nicht möglich. Immerhin besagen aber
diese Erfahrungen, dass eine sozialistische Gesellschaft über
längere Zeit lebensfähig ist, u. a. auf den Gebieten der
Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik Beachtliches im
Interesse der arbeitenden Menschen leisten konnte und ein für
den Kampf der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern
für soziale Verbesserungen und dem Kampf der unterdrückten
Völker für nationale Befreiung ausgesprochen günstiges
internationales Kräfteverhältnis zur Folge hatte.
Sozialismus
im Kapitalismus verwirklichen zu wollen, das besagen dagegen die
entsprechenden Versuche sozialistischer und sozialdemokratischer
Parteien, ist nicht machbar. Die dennoch weiter anhaltenden
Bemühungen dieser Art gehen in aller Regel mit der Ablehnung
einer Definition des Sozialismus als gemeinwirtschaftliche
Gesellschaftsordnung und mit einer Herabstufung des
Sozialismusbegriffs zu einer bloßen Public-Relation-Formel
im linken Dialog einher. Als generelle Arbeitshypothesen zu
den für die Zukunft bedeutsamen Erkenntnissen und Erfahrungen
hinsichtlich des Realsozialismus bieten sich an: - Sozialismus
ist keine kurzfristige Übergangsgesellschaft zum Kommunismus,
sondern offenbar eine langandauernde relativ selbständige
Gesellschaftsordnung mit eigenen ökonomischen
Gesetzmäßigkeiten, sozialen und politischen
Widersprüchen, mit einer eigenen Klassenstruktur und
spezifischen politischen Zwängen und Herausforderungen.
Sozialismus bzw. sozialistische Gesellschaftsgestaltung setzt die
politische Machtergreifung der arbeitenden Klassen voraus. -
Zusammen mit der Eigentums- bzw. Aneignungsfrage und der
Machtfrage ist die Lösung der Demokratiefrage von
außerordentlicher Bedeutung: als Frage der demokratischen
Verfügung über das Eigentum sowie der unmittelbaren
Machtausübung der arbeitenden Klassen, der demokratischen
Kontrolle der staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen und
überhaupt als Lebensfrage der sozialistischen Gesellschaft.
- Der Realsozialismus ging mit äußeren Bedingungen
und sich daraus ergebenden innenpolitischen Konsequenzen (wie dem
Schutz und der Verteidigung des sich entwickelnden Sozialismus)
einher, die es sehr erschwerten, seine Vorzüge und
Triebkräfte zur Geltung zu bringen. Jeder weitere Versuch des
Ausbruchs nur eines Teils der Menschheit aus dem kapitalistischen
Weltsystem wird mit ähnlichen Problemen konfrontiert sein. Er
wird mit der Versuchung einhergehen, den strategischen Fehler des
Realsozialismus zu wiederholen, die politische Herrschaft der
Produzenten durch die Herrschaft einer administrativen "Vorhut"
zu ersetzen. Zweitens: Ein neuer Sozialismus wird nicht
als verbesserter Realsozialismus entstehen. Diese Chance wurde in
den Ländern des sich entwickelnden Sozialismus in den
fünfziger und sechziger Jahren vertan. Inwieweit in den
verbliebenen Ländern des ehemaligen sozialistischen
Weltsystems, vor allem in China und Kuba, aber auch in Nordkorea
und Vietnam, eine solche Chance noch besteht, gegebenenfalls sogar
welthistorische Bedeutung erlangen könnte, ist eine Frage,
die gründlicher Analysen und Debatten bedarf. Ein neuer
Sozialismus wird aus den zukünftigen Klassenkämpfen, den
in diesen Zusammenhang geführten konzeptionellen Debatten
sowie überhaupt aus den zukünftigen politischen
Herausforderungen im Kampf um eine humane Gestaltung der
gesellschaftlichen Verhältnisse hervorgehen. Er wird wie die
bisherigen Sozialismusversuche ein Suchpfad sein. Sinn einer
Debatte um bisherige Sozialismuserfahrungen ist es, einen
theoretischen Vorlauf hinsichtlich der methodischen Probleme
sozialistischer Staats- und Demokratiegestaltung zu erreichen, um
auf diesem Suchpfad besser voranzukommen und möglichst
Sackgassen und Fehlentwicklungen zu vermeiden. In den
aktuellen Kämpfen um einen zukünftigen Sozialismus in
Lateinamerika zeichnet sich bereits ab, dass den Erfahrungen der
sozialistischen Länder ein hoher Stellenwert beigemessen
wird. Vor allem Ratschläge von Wirtschaftspraktikern, z. B.
auch von LPG-Vorsitzenden, von Theoretikern der politischen
Ökonomie des Sozialismus sowie von Staats- und
Demokratietheoretikern sind gefragt. Daraus ergibt sich eine hohe
Verantwortung von Wissenschaftlern, Praktikern und Politikern der
ehemaligen sozialistischen Länder, ihre Sicht auf positive
und negative Erfahrungen mit den Formen und Methoden der
Wirtschaftsleitung, der Wirtschaftsdemokratie, der Machtausübung
und des politischen Systems zur Diskussion zu stellen. Drittens:
Eine Analyse des Scheiterns des Realsozialismus darf sich
nicht darin erschöpfen, bloß "innere und äußere
Ursachen", "subjektive und objektive Faktoren" oder
"Haupt- und Nebenursachen" zu benennen und das Ganze
dann als komplexe Analyse auszugeben. Eine auf die Herausarbeitung
der (positiven, negativen, aber auch nachdenkenswerten und
geradezu tragischen ) Erfahrungen gerichtete Analyse muss von der
konkreten geschichtlichen Situation einer sich unter schwierigen
äußeren und inneren Bedingungen entwickelnden
sozialistischen Gesellschaft, ihrer inneren und äußeren,
sozialökonomischen und politischen Widersprüche, der ihr
eigenen Triebkräfte und Hemmnisse ausgehen. Auf der Grundlage
einer solchen Analyse ist die Frage zu beantworten, warum es
nicht, bloß zeitweise bzw. nur partiell gelang, diesen
Widersprüchen geeignete politische Bewegungs-, Lebens- und
Entwicklungsformen zu geben, welche Defizite, aber auch, welche
erfolgreichen politischen Formen es dabei gab. Antworten auf
diese Fragen werden nur zu finden sein, wenn man dem Marxschen
Ausgangspunkt folgt, Staat und Demokratie als Lebens- und
Entwicklungsformen gesellschaftlicher Verhältnisse in ihrer
konkreten Widersprüchlichkeit zu begreifen. Das Auffinden
einer "durch und durch ausdehnungsfähige(n) politischen
Form" (Karl Marx, MEW, Band 17, S. 342) war in den
realsozialistischen Gesellschaften objektiv deshalb so schwierig,
weil grundlegende gesellschaftliche Widersprüche in einer
geradezu dramatischen Weise sich gegenseitig zu blockieren
drohten: Dem Ziel einer Selbstregierung des Volkes standen die
Erfordernisse des Abwehrkampfes gegen die Konterrevolution
entgegen. Der zur Entwicklung der Produktivkräfte absolut
notwendige, aber sich "spontan" bürokratisch
entwickelnde Eigentümerstaat drohte den Kommunestaat zu
erdrücken. Die Sicherung der Arbeiterklasse "gegen ihre
eignen Abgeordneten und Beamten" (Friedrich Engels, MEW, Band
19, S. 197) versagte angesichts des Anwachsens des staatlichen
Apparates und der Ersetzung der Absetzbarkeit durch
Privilegierung. Die Demokratie von unten traf auf eine politische
Führung, die von "flexiblen Konsultationsmechanismen"
(Lenin) zwischen sich und den Volksmassen immer weniger wissen
wollte. Die politischen und staatlichen Strukturen des
europäischen Sozialismus waren über geraume Zeit (bei
sicherlich nicht wenigen Entartungen und Funktionsstörungen,
angesichts wirtschaftlicher Unterentwicklung und einer Situation,
da ein großer Teil der Wirtschaftskraft für die
Verteidigung eingesetzt werden musste und so der Erhöhung des
Volkswohlstandes verloren ging) in der Lage, Entwicklungsform des
Sozialismusversuchs zu sein. Letztlich waren sie langfristig nicht
in der Lage, in der globalen Systemauseinandersetzung mit dem
Kapitalismus in Bezug auf die Arbeitsproduktivität und den
Lebensstandard erfolgreich zu konkurrieren und ein
Gesellschaftssystem zu schaffen, dass hinsichtlich seiner
sozialen, aber vor allem auch demokratischen Qualität der
Masse der Menschen als verteidigungswert erschien. Viertens:
Es geht heute im Besonderen um eigene, für das 21.
Jahrhundert taugliche sozialistische Maßstäbe bei der
Analyse und Debatte um die Erfahrungen des Realsozialismus. Die
Übernahme bürgerlicher Be- und Verurteilungen führt
unweigerlich in die Irre, verhindert eine differenzierte und
gerechte Bewertung dieser Erfahrungen. Die Stalinismuskeule
erweist sich dabei als eine sich links gebende Variante der
Totalitarismustheorie, die eine konkrete Analyse durch die magere
Schablone eines Gut-Böse-Schemas zu ersetzen sucht. Eigene,
zeitgemäße Maßstäbe sind: - Die reale
Vergesellschaftung der Produktionsmittel, d. h. ihre tatsächliche
Aneignung durch die assoziierten Produzenten. - Die Ausübung
der politischen Macht durch die arbeitenden Klassen selbst und
nicht durch nur sich selbst verantwortliche bürokratische
Apparate, eine entsprechende Gewährleistung der politischen
Grundrechte, die Kontrolle der staatlichen Verwaltungsapparate von
unten. - Die demokratische Kontrolle über die Wirtschaft
als die entscheidende Sphäre der Gesellschaft, die
demokratische Entscheidung über die Verwendung des
Mehrprodukts im Rahmen einer demokratischen Planung. Entscheidende
Bedeutung kommt dabei der Bestimmung praktikabler Formen
unmittelbarer und mittelbarer Demokratie von unten und von oben
zu. - Die Gewährleistung sozialer Grundrechte,
insbesondere des Rechts auf Arbeit, auf Bildung, auf soziale
Sicherheit und die reale Gleichstellung der Geschlechter. -
Eine Politik der Ächtung des Krieges und der Durchsetzung des
demokratischen Völkerrechts in den internationalen
Beziehungen. - Eine Politik der ökologischen
Nachhaltigkeit, der Abwehr von Gefahren einer irreversiblen
Umweltzerstörung und einer drohenden Klimakatastrophe.
Fünftens: Zumindest hinsichtlich der DDR gibt es
die Erfahrung, dass der Eigentümerstaat durchaus in einem
beachtlichem Maße funktioniert hat. Immerhin lag die DDR
hinsichtlich der Industrieproduktion an 10. Stelle in der Welt.
Der bürokratisierte Eigentümerstaat aber hat auch in der
DDR den Kommunestaat weitgehend überlagert und verdrängt.
Die konkrete Analyse des Widerspruchs zwischen Eigentümerstaat
und Kommunestaat ist der entscheidende Ausgangspunkt, um für
die Zukunft die "politische Form, unter der sich die
Befreiung der Arbeit vollziehen" kann, weitaus präziser
zu bestimmen, als dies nach 72 Tagen Pariser Kommune möglich
war. Dabei geht es darum, die komplizierten, objektiv
bestehenden Probleme sozialistischer Demokratiegestaltung und
Gesellschaftsentwicklung aufzuzeigen und Lehren zu formulieren,
wie diese Probleme besser als im Realsozialismus gelöst
werden können. Karl Marx und Friedrich Engels räumten
bereits im Kommunistischen Manifest dem zukünftigen
sozialistischen Staat die Rolle eines ökonomischen Zentrums
der sozialistischen Gesellschaft ein. Danach sollte (MEW, Band 4,
S, 481) der sozialistische Staat, d. h. das "als herrschende
Klasse organisierte Proletariat" (und nicht das Proletariat
direkt), in die Produktionsverhältnisse eintreten. Diese
Position stand, wie sich in der politischen Praxis dann zeigte, in
einem geradezu dramatischen Spannungsverhältnis zum Konzept
des Kommunestaates, wie es von Marx und Engels in Auswertung der
Erfahrungen der Pariser Kommune entwickelt wurde. Das
Kommunekonzept orientierte auf "die Rücknahme der
Staatsgewalt durch die Gesellschaft als ihre eigne lebendige
Macht" (Karl Marx, MEW, Band 17, S. 543), auf die
Selbstregierung des Volkes, auf die Reduzierung und Kontrolle des
staatlichen Apparates, auf die Beseitigung von Privilegien für
Staatsangestellte, auf Wahl, Rotation und Absetzbarkeit der
Abgeordneten und Beamten sowie überhaupt auf das Absterben
des Staates (vgl. dazu die Thesen vom 22. November 1987 von
Uwe-Jens Heuer, "Ökonomie, Demokratie und Recht in der
entwickelten sozialistischen Gesellschaft", geschrieben für
eine dann auch sehr heftige Debatte im Bereich
Gesellschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der
DDR Anfang 1988). Lenin bekräftigte am Vorabend der
Oktoberrevolution in "Staat und Revolution" das
Kommunekonzept des "Halbstaates", das heißt eines
Staates, der nach seiner mit Karl Marx und Friedrich Engels
übereinstimmenden Position schon kein "eigentlicher"
Staat mehr war (LW, Bd. 25, S. 409), vollzog allerdings schon ein
halbes Jahr später einen deutlichen Kurswechsel weg von einem
Staat ohne Armee, Polizei und Beamtenapparat in Richtung auf eine
deutliche Stärkung des Eigentümerstaates, mittels dessen
eine "höhere Organisation der Arbeit" und die
"strengste Rechnungsführung und Kontrolle über die
Produktion und die Verteilung der Produkte" durchgesetzt
werden sollte. Die weitere Entwicklung ergab, dass der
Eigentümerstaat den Kommunestaat immer mehr dominierte.
Lenins Forderung in "Die nächsten Aufgaben der
Sowjetmacht", zugleich "die Formen und Methoden der
Kontrolle von unten" auszubauen, um das "Unkraut des
Bürokratismus immer wieder und unermüdlich auszureißen"
(LW, Bd. 27, S. 266), scheiterte bzw. wurde missachtet. In der
Partei setzte sich eine hierarchische Struktur und die Allmacht
des Generalsekretärs Stalin durch. Die bereits von Lenin
Anfang 1921 kritisierte Tendenz zu einem "Arbeiterstaat mit
bürokratischen Auswüchsen" (LW, Bd. 32, S. 32)
verstärkte sich enorm. Nach einer demokratischen Phase in
einer Reihe volksdemokratischer Länder nach 1945 setzte sich
auch dort mehr oder weniger modifiziert das Modell des politischen
Systems der Sowjetunion durch. Mit der Entwicklung einer Staats-
und Parteibürokratie, aber auch der schon aus Gründen
der Verteidigung unabdingbaren Militär und
Sicherheitsbürokratie entwickelte sich eine soziale Schicht
mit eigenen Interessen, die schon infolge ihrer Nähe zu den
Hebeln der Macht diese Interessen in der Staatspolitik zur Geltung
bringen konnten. Es gab es in der Geschichte des
Realsozialismus durchaus positive Erfahrungen wie die
Verpflichtung staatlicher Institutionen auf Bürgernähe
mittels des Eingabenrechts, die Übertragung ehemals
staatlicher Sanktionsmöglichkeiten auf die
Konfliktkommissionen in den Betrieben oder die insgesamt gelungene
Verbindung von staatlicher Leitung und demokratischer
Eigenständigkeit der Produzenten in den landwirtschaftlichen
Produktionsgenossenschaften. Zu den positiven Erfahrungen gehörte
auch der Versuch in der DDR der sechziger Jahre unter Walter
Ulbricht, mit dem Neuen Ökonomischen System (NÖS) dem
sozialistischen Eigentum und den Erfordernissen der
Produktivkraftentwicklung adäquate Formen der Planung und
Leitung zu geben. Dieser angestrebte Wechsel im ökonomischen
System wurde nicht zuletzt gerade auch als Entwicklung der
sozialistischen Demokratie verstanden. Auch in einem
zukünftigen Sozialismus wird der Staat augenscheinlich ein
wichtiges Instrument der Gesellschaftsgestaltung und
Produktivkraftentwicklung sein. Ein Absterben des Staates als
Dahinschwinden seiner Funktionen und Apparate, als Verlust seines
politischen Charakters (infolge erreichter sozialer Homogenität)
ist auch dann nicht in Sicht, wenn es gelingt, Bürokratie und
Bürokratismus erfolgreich zu bekämpfen bzw. zu
kontrollieren. Staatliche Leitung und Verwaltung als Form
gesellschaftlicher Arbeitsteilung und als Methode zur Durchsetzung
allgemeiner gesellschaftlicher Interessen werden auf absehbare
Zeit bleiben. Staaten lassen sich nicht ehrenamtlich nach
Feierabend regieren. Was aber gesichert werden kann und muss, ist
eine allseitige, der bürgerlichen Demokratie überlegene
Demokratisierung dieses sozialistischen Staates: durchaus im Sinne
der von Marx proklamierten Selbstregierung des Volkes und der
Rücknahme der Staatsgewalt durch die Gesellschaft. Insofern
ist es natürlich nicht falsch (aber eben unzureichend), für
einen zukünftigen Sozialismus auch das Recht auf Opposition
und Gewaltenteilung zu fordern. Es geht, weit darüber hinaus,
um eine neue Qualität von Demokratie im Sozialismus gegenüber
dem Kapitalismus, nicht nur (wie im Realsozialismus vielfach
verwirklicht) hinsichtlich der sozialen Demokratie. Dem Konzept
des Kommune- bzw. Halbstaates als ständige Aufgabe
zukünftiger sozialistischer Staats- und
Gesellschaftsgestaltung kommt dabei eine maßgebliche
konzeptionelle Bedeutung zu. Sechstens: Die
Demokratiefrage hat sich insgesamt als eigenständige Frage
sozialistischer Gesellschaftsgestaltung erwiesen, die weder mit
der Machtfrage noch mit der Verstaatlichung bzw. Sozialisierung
der Banken und der Betriebe identisch ist. Während es unter
Lenin noch üblich war, Einschränkungen von Demokratie im
Sozialismus infolge der Heftigkeit des Bürgerkrieges bzw. des
Klassenkampfes auch als Einschränkungen zu bezeichnen, wurde
es später üblich, derartige Beschränkungen als
Wesensmerkmale sozialistischer Demokratie oder gar als Ausdruck
der Höherentwicklung von Demokratie hinzustellen.
Hinsichtlich der Demokratiefrage gibt es eine Fülle
sowohl negativer als auch positiver Erfahrungen des
Realsozialismus. - Demokratiegestaltung im Sozialismus braucht
einen allgemeinen Maßstab und insofern auch einen
allgemeinen Demokratiebegriff. Als solcher bietet sich die
Demokratiedefinition an, die Demokratie als die jeweils in enger
Verbindung zu den Eigentums-, Macht- und Herrschaftsverhältnissen
stehende "individuelle und kollektive Selbstbestimmung des
Volkes" begreift (vgl. Uwe-Jens Heuer, in: Z. Nr. 30, Juni
1997, S. 106). - Sozialistische Demokratie ist demokratische
Gestaltung des politischen Prozesses, also die Abstimmung und
Durchsetzung der widersprüchlichen Interessen von Klassen und
sozialen sowie demographischen Gruppen bzw. Schichten der sich
entwickelnden sozialistischen Gesellschaft. Sozialistische
Demokratie ist zugleich die politische und gesellschaftliche Form,
der demokratische Prozess dieses Willensbildungs- und
Entscheidungsprozesses auf der Grundlage des assoziierten
Verstandes der Massen. Die sozialistische Gesellschaft hat kein
"Gehirn", auch nicht in Gestalt einer Parteiführung
(so Uwe-Jens Heuer Anfang der achtziger Jahre), das an Stelle der
Gesellschaft den gesamtgesellschaftlichen Willen formulieren
könnte. - Die im Realsozialismus verbreitete Auffassung,
dass Staatspolitik und Machtausübung Aufgabe des Politbüros
und der Regierungsinstitutionen sei, wurde mit der besonderen
Fähigkeit dieser Institutionen zur marxistischen Analyse der
gesellschaftlichen Verhältnisse legitimiert. Tatsächlich
war dies vor allem eine Schutzbehauptung zur Rechtfertigung
bürokratischer Herrschafts- und Entscheidungsstrukturen.
Positive Erfahrungen mit demokratische Entscheidungsstrukturen,
mit einer sozialistischen Konsensdemokratie gab es an der Basis,
in den Betrieben und Gemeinden. - Grundlegende Strukturfehler
des politischen Systems des Realsozialismus waren eng mit einer
falschen Sicht auf das Verhältnis von Spontaneität und
Bewusstheit verbunden. Spontaneität wurde als Gegensatz zur
Bewusstheit (und nicht auch als deren Keimform) verstanden. Dies
hatte Konsequenzen für die juristische und
praktisch-politische Abschottung des politischen Systems gegen
spontane politische Aktivitäten, gerade auch gegen kritische
Bürgerinnen und Bürger. Wahlrecht, Absetzbarkeit und
Abstimmungsverfahren wurden so gestaltet, das "alles unter
Kontrolle" bleiben sollte. Damit aber fehlte eine geeignete
politische Form für die Bewegung des Widerspruchs zwischen
politischer Führung und Volksmassen. - Eine
entscheidendes Merkmal des sozialistischen Demokratietyps und
seiner Überlegenheit gegenüber der bürgerlichen
Demokratie muss die Aneignung der Produktionsbedingungen und die
Entscheidung über das Mehrprodukt auf den verschiedenen
Ebenen der Gesellschaft durch die assoziierten Produzenten sein.
Diese werden sich nur dann als Eigentümer fühlen, wenn
sie es auch tatsächlich sind, wenn sie über die
entsprechenden Teilhaberechte verfügen. Das dies in den
realsozialistischen Ländern weitgehend nicht der Fall war,
machte gerade auch die fehlende Bereitschaft der Werktätigen
"nach der Wende" deutlich, ihre Betriebe zu verteidigen.
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