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Betrachtet man die gegenwärtigen Diskussionen über den ästhetischen Spät- bzw. Neo-Modernismus und die Reaktionen auf die oft zu Events verkommenen Kunstpräsentationen (in deren Rahmen auch die Kasseler Documenta einzuordnen ist), besitzen die Beiträge des vorliegenden Bandes inhaltlich einen weitgehend singulären Charakter. Wer nur mit der gewöhnlichen Magerkost zum ästhetischen Spät-Modernismus vertraut ist, wird möglicherweise auch irritiert sein. Denn entgegen des hegemonialen Stroms affirmativ-einvernehmlicher Stellungnahmen beschäftigen sich die Beiträge kritisch mit der großen Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht nur der Documenta, sondern der spät-modernistischen Kunstszene in ihrer Gesamtheit.
Im Kontrast zu der kritiklosen Zustimmung die in den Distributionssphären des kulturbürokratischen Komplexes vorherrscht, hinterfragen die Autorin und die Autoren, ob die vielfältigen, oft hochtrabenden Relevanzansprüche der „Modernen Kunst“ von ihr tatsächlich auch eingelöst werden und ob es sich bei ihren Hervorbringungen, die beispielsweise auch auf der Documenta in Rampenlicht gerückt wurden, tatsächlich, wie behauptet wird, um ein für unsere Epoche repräsentatives Kunstschaffen handelt.
Wie es seit Jahrzehnten zur Gewohnheit geworden ist, fand die Documenta auch in ihrer 13. Auflage nicht nur beim Publikum ein überwältigendes Interesse, sondern auch eine, wegen ihrer Stromlinienförmigkeit schon verwunderliche mediale Zustimmung. Es dominierte – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in den Zeitungen, den „Experten“-Äußerungen und den Berichterstattungen in den elektronischen Medien eine unterwürfige Apologie, die weitgehend den Selbstdeklarationen des Ausstellungsmanagements verpflichtet blieb.
Die Rezeptionsprozesse sind schon seit Jahrzehnten zum verwechseln ähnlich: Die Sichtweisen und Interpretationspräferenzen des Documenta-Management werden von seinen publizistischen Lanzenträgern und „kunstkritischen“ Hilfstruppen mit Eifer verbreitet; sie peräjudizieren das Bild von der Documenta ebenso wie sie die Rezeptionstendenz formieren. Ihr ungefilterter Einluß läßt sich bis in linke Publikationen hinein verfolgen. Das dort mit „progressivem“ Interpretationsanspruch eine in Kassel präsentierte Music-Box mit politischen Liedern als Beweis einer politisch-progressiven Grundausrichtung der Ausstellung angeführt wird: Das sollte zu denken geben.
Dabei hätte es viele Gründe gegeben, die Kassler Inszenierung konsequent zu hinterfragen: Ist ein durch die Ausstellungsräume geleiteter Luftzug, wie er auf der Documenta inszeniert wurde, tatsächlich Ausdruck einer ästhetischen Aktivität, die „etwas bewegt“? Solche Fragen drängen sich viele auf! Jedoch sowohl die Documenta, wie auch die sie thematisierenden medialen Spiegelwelten blieben weitgehend von Kritik „unbelastete“ Räume. Nicht zufällig drängte sich anläßlich der Kasseler Mega-Kunst-Schau, der Eindruck einer Tendenz zur ebenso ästhetischen Banalisierung, wie auch weltanschaulichen Formierung auf. Mit Nachdruck wird vom Documenta-Management der Anspruch aufrecht erhalten, einen repräsentativen Überblick über das globale Kunstschaffen zu bieten und ausschließlich Kunst „allerhöchsten Ranges“ zu präsentieren. Tatsächlich sind die Kasseler Inszenierungen jedoch weit davon entfernt, diese Selbstverpflichtungen einzulösen. Traditionell privilegiert sie künstlerische Aktivitäten, die durch inhaltliche Beliebigkeit und demonstrative Weltabgewandtheit – bei allen Ausnahmen die immer wieder positiv ins Auge fallen - geprägt sind. Mindestens genau so wichtig wie die Beschäftigung mit dem im Kassel präsentierten Schaugut, ist die Beantwortung der Frage, was auf der Strecke geblieben ist, was ausgegrenzt und ignoriert wurde. In ihrer 60-jahrigen Geschichte hat die Documenta eine prägende Rolle bei der Durchsetzung eines oft inhaltsarmen Modernismus und in den letzten Dekaden auch bei der Verallgemeinerung einer Event-Kultur gespielt, die für den hegemonialen Kunstbetriebs prägend geworden ist. Trotz aller formalen Veränderungen, stilistischen Transformationen und fraglos auch einigen gegenläufigen Akzenten, ist die Dokumenta eine Veranstaltung mit grundlegender Manipulationstendenz, eine Institution zur Entsorgung ernsthafter Kunst und der Flucht vor einer verständigen Auseinandersetzung mit den Gegenwartsproblemen geblieben. Für die Autoren des Bandes ist die Documenta 13 Anlaß, nach dem spezifischen Charakter zeitgenössischer Kunst und den Bedingungen der Kunstproduktion im Zeichen einer manifesten sozio-kulturellen Krisensituation zu fragen. Angesichts seines hegemonialen Charakters wird nach der ideologischen Rolle gefragt, die der ästhetische Modernismus innerhalb des ideologischen Reproduktionsgefüges des Spätimperialismus spielt. Über den unmittelbaren Anlaß hinausweisend, werden auch die aktuellen Ausformungen des Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft thematisiert. Eine zentralen Stellenwert spielt die Frage, welche theoretische Kriterien für die Bewertung von Kunst im Allgemeinen und dem ästhetischem Modernismus im Besonderen zur Verfügung stehen. Sie stellt sich umso dringender, als mittlerweile (auch in ehemals kritischen Theoriezusammenhängen) die Behauptung hegemonial geworden ist, dass objektivierbare Kriterien für die Bewertung der Künste nicht mehr zur Verfügung stünden. In ihrer Grundtendenz wenden sich die Beiträge des Bandes gegen die Trivialisierung von Kunst, ihrer Reduktion auf das Spektakel und ihre Vereinnahmung für irrationalistische Weltanschauungsbedürfnisse, die prägende Merkmale der Documenta-Inszenierung 2012 gewesen sind. Es sollen keine „ästhetischen Normen“ präjudiziert und keine spezifische künstlerische Ausdrucksformen privilegiert werden, jedoch ist mit dem vorliegenden Band die Hoffnung geknüpft, eine bisher ausgebliebene Diskussion zu stimulieren.