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Erklärung des Vorstands der Marx-Engels-Stiftung

Der Krieg in der Ukraine ist nur einer von vielen seit Ende des 2. Weltkriegs, der rund 75 Millionen Tote forderte, davon allein 27 Millionen in der Sowjetunion. Viele weitere Millionen von Menschen starben seither in den zahlreichen Kriegen, die die europäischen Kolonialmächte gegen ihre ehemaligen kolonialen Untertanen führten, starben im Korea-Krieg, im Vietnam-Krieg zuerst Frankreichs, dann der USA, Hunderttausende sterben noch heute z.B. im Jemen-Krieg, der es, wie etliche andere, kaum je in die Schlagzeilen schafft.

Der Ukraine-Krieg ist auch nicht der einzige, den es in den letzten Jahrzehnten in Europa gab: denken wir nur an die Kriege, die der Auflösung der UdSSR folgten – in Georgien etwa, im Kaukasus, zuletzt der zwischen Armenien und Aserbaidschan. Vor allem aber an den Kosovo-Krieg von 1999, zu dem der jetzige einige Parallelen aufweist.

Nichts Neues also? Doch. Grundsätzlich neu ist, dass erstmals die Russische Föderation, die Rechtsnachfolgerin der früheren Sowjetunion, mit einem Krieg eklatant gegen das Gewaltverbot von Art. 2 der UNO-Charta verstößt. Während das für die USA schon zur Gewohnheit geworden ist. Und qualitativ neu ist auch die Reaktion darauf: Noch nie in der Geschichte gab es ein so umfassendes Paket an Sanktionen und Boykottmaßnahmen gegen einen einzelnen Staat – nicht einmal gegen Kuba oder die als „Schurkenstaaten“ verteufelten Nordkorea und Iran –; und noch nie waren die Friedenskräfte (zu denen auch die Marx-Engels-Stiftung zählt) so verunsichert, teilweise so gespalten wie derzeit über die Frage, wie dieser Krieg zu bewerten ist und wie auf ihn reagiert werden müsste. 

Bleiben wir erstmal bei uns und unserem Land: Wir haben uns seit je auf das Völkerrecht berufen, das spätestens seit 1945 (seit der UNO-Charta und den Nürnberger Prozessen gegen die Nazi-Kriegsverbrecher) jeglichen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat, egal mit welcher Begründung oder unter welchem Vorwand, vorbehaltlos verurteilt. Und wir haben uns entschieden gegen alle Versuche gewandt, dieses – natürlich historisch gewachsene und deshalb auch veränderbare Völkerrecht! – zu „ergänzen“ oder zu korrigieren: z.B. durch eine menschenrechtlich begründete „Schutzverantwortung“ (r2p-Regel, responsibility to protect), die seit dem Krieg gegen Jugoslawien hierzulande vor allem, aber keineswegs nur, die Grünen für ihren Wechsel ins Kriegslager ins Feld führen. Eins der Argumente, das Russland heute für seinen Völkerrechtsbruch anführt – nämlich die Notwendigkeit, die ethnischen Russen in der Ostukraine vor den mörderischen Angriffen der ukrainischen Zentralgewalt zu schützen – folgt übrigens genau diesem Muster; und tut dies sogar mit weit mehr sachlicher Berechtigung, als dies im Kosovo der Fall war.

Wie aber gehen wir – und geht „man“, hier nämlich Russland – damit um, wenn „der Westen“ sich und uns an dieses Völkerrecht nur dann erinnert, wenn es ihm, wie jetzt, in den Kram passt; wenn er sich um völkerrechtliche Grundsätze, eigene Zusagen und internationale Abkommen, die von ihm unterzeichnet wurden und die für Russlands Sicherheit von zentraler Bedeutung sind, einen Dreck schert? Und sich stattdessen auf eine sog. „regelbasierte Ordnung“ beruft, die von ihm ausgekungelt wurde und allein ihm bzw. den Interessen seiner herrschenden Klassen dient? Gewiss, zu den Axiomen des Zivilrechts gehört, dass der Rechtsbruch einer Partei den der anderen nicht rechtfertigen kann; aber was geschieht, im Umgang von Staaten untereinander, wenn eine Instanz fehlt, die dem Völkerrecht mit Macht zur Durchsetzung verhilft?

Die geopolitische Strategie der USA gegenüber Russland folgt ziemlich getreu dem Drehbuch, das Zbigniew Brzeziński 1997 in seinem Buch The Grand Chessboard (Das große Schachbrett) skizzierte, wonach die USA ihre Rolle als „Die [nach dem Ende der Sowjetunion] einzige Weltmacht“ (so der Titel der deutschen Ausgabe) sichern sollten und tatsächlich auch durchzusetzen versuchen. Die Ukraine spielt in diesem „Drehbuch“, und in der Realität, eine zentrale Rolle als eine in diesem „Schachspiel“ entscheidende Figur.

Der wohl ausschlaggebende Grund der russischen Führung für ihre verharmlosend „Militäraktion“ genannten Krieg in der Ukraine ist deshalb auch ihre berechtigte Befürchtung, wie zuvor schon die Sowjetunion, damals durch Totrüsten, von den USA „schachmatt“ gesetzt zu werden. Mit der UdSSR wurde eine Systemalternative beseitigt. Das ist das heutige kapitalistische Russland beileibe nicht mehr. Aber es ist immerhin noch – richtiger gesagt: wieder, nämlich nach dem Abtreten des gefügigen Jelzin – ein Staat, der eigene Interessen hat und verfolgt und nicht bereit ist, vor den USA – „mit einem Wimmern oder einem Knall“, wie es seinerzeit von Reagan für die Sowjetunion gewünscht wurde – zu kapitulieren. 

Nun ist ein Krieg freilich kein Schachspiel; es fallen ihm nicht hölzerne Bauern, Läufer, Springer und Türme zum Opfer, sondern leibhaftige Menschen – und selbst wenn das russische Militär bestrebt sein sollte, was von seiner Führung behauptet wird und wir ihm einmal unterstellen wollen, die Zivilbevölkerung zu schonen, gilt: Auch die angeblich eingesetzten „hochpräzisen“ Waffen treffen, wie wir aus den vielen Kriegen der USA und der Nato wissen, eben nicht nur militärisch relevante Personen und Objekte.

Was können wir tun, als Marxistinnen und Marxisten in der deutschen Friedensbewegung? 
  1. Wir wünschen wie unsere Mitstreiter, dass dieser Krieg und die mit ihm verbundenen Leiden aufhören. Besser noch wäre es gewesen, der Krieg wäre verhindert worden. Die Herrschenden hierzu zu zwingen, dazu hat die Stärke der Friedenskräfte nicht ausgereicht. Der Krieg ist daher auch unsere Niederlage! Wir sehen mit Sorge, dass es – wie Werner Ruf (https://youtu.be/SrvmN53JzTA) es ausdrückte – zu einer Entwicklung kommen könnte, wo es „die derzeitige Propaganda vermag, Teile der Friedensbewegung zu Unterstützern von Kriegen zu machen“. Dem entgegenzuwirken sehen wir als unsere Aufgabe. Dabei stehen wir nicht neben oder außerhalb der Friedensbewegung, sondern bringen unsere marxistischen Einsichten ein, um die Friedenskräfte zu stärken! 
  2. Wir bemühen uns zu verdeutlichen, dass dieser Krieg die Antwort auf eine tatsächliche Bedrohung Russlands und dessen versuchten Unterwerfung ist – und nicht etwa der Ausfluss eines Hirngespinsts des „Monsters Putin“ 
  3. Wir versuchen deutlich zu machen, dass die Ukraine Opfer einer Intrige des Westens ist. Und dass deshalb die Lösung darin besteht, sie aus diesem „Spiel“ der USA gegen Russland herauszunehmen, indem sich die beiden Länder auf ihre gemeinsamen Interessen besinnen. Eine garantierte Neutralität der Ukraine, Abkommen über den Status und die Versorgung der Krim und der Ostukraine gingen in diese Richtung.
  4. Wir wenden uns entschieden gegen alle Bestrebungen, durch Waffenlieferungen an die Ukraine o.ä. den Krieg zu verlängern.
  5. Wir treten den „großrussischen Tönen“ und den falschen Aussagen zur Geschichte der sowjetischen Nationalitätenpolitik in den Reden Putins entgegen, mit denen der Krieg begründet wurde. 
  6. Wir verurteilen die heuchlerische Doppelmoral, die zwar – zurecht! – Solidarität einfordert mit den Opfern des Ukrainekriegs, vor allem den vor diesem Krieg Geflüchteten, Solidarität aber verweigert den zig Millionen Opfern der Kriege und Wirtschaftskriege des Westens.
  7. Gemeinsam mit unseren Freunden in der Friedensbewegung orientieren wir jetzt vor allem auf den Kampf gegen das gigantische Aufrüstungsprogramm (Verdreifachung des Rüstungshaushalts allein in diesem Jahr, mehr als 2% vom BSP ständig), das die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs mit Unterstützung fast des gesamten Bundestags hofft durchsetzen zu können. 

Marx-Engels-Stiftung e.V., Wuppertal, 21. März 2022