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Zu den Hochzeiten der Globalisierung gab es – oft in Verbindung mit der Erinnerung an den 200. Geburtstag von Karl Marx 2018 – weltweit eine Verneigung an das „Kommunistische Manifest“, in dem er und Friedrich Engels auf den Drang zur Herstellung eines einheitlichen Weltmarkts hingewiesen hatten: „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet.“1

Zehn Jahre nach diesem 1848 veröffentlichten Manifest formuliert Marx – inzwischen nach London emigriert - in einem Brief an Engels, der zu der Zeit in Manchester unter anderem das Geld verdient, das seinem Freund die Studien ermöglicht, aus denen dann „Das Kapital“ entsteht, diesen Gedanken noch schärfer: „Wir können nicht leugnen, daß die bürgerliche Gesellschaft zum 2tenmal ihr 16tes Jahrhundert erlebt hat, ein 16tes Jahrhundert, von dem ich hoffe, daß es sie ebenso zu Grabe läutet, wie das erste sie ins Leben poussierte. Die eigentliche Aufgabe der bürgerlichen Gesellschaft ist die Herstellung des Weltmarkts, wenigstens den Umrissen nach, und einer auf seiner Basis beruhenden Produktion. Da die Welt rund ist, scheint dies mit der Kolonisation von Kalifornien und Australien und dem Aufschluß von China und Japan zum Abschluß gebracht.“2

Im folgenden Verlauf dieses interessanten Briefes wird auch die Frage aufgeworfen, ob eine mögliche Revolution auf dem europäischen Kontinent („diesem kleinen Winkel“) nicht „notwendig gecrusht“, also zerdrückt wird, „da auf viel größerm Terrain das movement der bürgerlichen Gesellschaft noch ascendant (aufsteigend – M.S.) ist?“3

Aber die Tendenz schien beiden damals schon eindeutig: Herstellung eines einheitlichen Weltmarktes. Unterbrochen von den imperialistischen Weltkriegen, die von 1914 bis 1945 diesen Prozess zerrissen hatten, und vor allem gestört vom Aufstieg der ersten sozialistischen Weltmacht, der mit der Oktoberrevolution 1917 begann und 1990 mit der Auflösung der Sowjetunion endete, schien die Bourgeoisie zu Beginn unseres Jahrhunderts am Ziel: Sie war drauf und dran, ihre „eigentliche Aufgabe“, die „Herstellung des Weltmarkts“ zu erfüllen. Russland lag am Boden und sollte die Funktion eines Lieferanten für Rohstoffe und Halbfertigprodukte zugewiesen bekommen. China sollte in den kapitalistischen Weltmarkt so integriert werden, dass über kurz oder lang auch seine sozialistische Orientierung und sein Festhalten an Marx und Engels im Sande verlaufen. So war der Plan, um die „eigentliche Aufgabe“ zu erfüllen.

Nun liegt das alles in Scherben. Als Reaktion auf die Eskalation des russisch-ukrainischen Konflikts haben die um die USA und die EU zusammengeschlossenen Staaten nicht nur ein seit 1945 nicht gekanntes Aufrüstungsprogramm, sondern auch massive wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland beschlossen, die dieses Land wirtschaftlich in den Ruin treiben sollen, wie die deutsche Außenministerin freimütig bekannte. Von einer wirtschaftlichen Isolation Russlands kann aber keine Rede sein. Etwas zerknirscht musste die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ anlässlich eines Besuchs des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi am 3. Mai 2022 einräumen: „Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat Indien seine Ölimporte aus Russland deutlich erhöht.“ Wenige Tage vorher war der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz in Japan – dem neben Südkorea, Taiwan und Singapur einzigen Land des größten Kontinents, das sich dem Sanktionsregime der NATO-Staaten angeschlossen hat.

Das Hauptergebnis der ökonomischen Maßnahmen, die in der Summe nichts anderes sind als ein Wirtschaftskrieg gegen Russland und mit ihm weiter Handel treibende Länder, ist dies: Die „Bourgeoisie“, um im Sprachbild des 19. Jahrhunderts zu bleiben, vermasselt ihre „eigentliche Aufgabe“ der Herstellung eines Weltmarkts „wenigstens seinen Umrissen nach“. Stattdessen deutet sich eine Zweiteilung des Weltmarktes an. Auf der einen Seite steht der fast geschlossene asiatische Kontinent, in dem Indien, China, Russland, Iran und alle anderen Länder bis auf Japan, Südkorea, Taiwan und Singapur miteinander Handel treiben. Dieser Gruppe haben sich die meisten afrikanischen und sogar die meisten südamerikanischen Länder angeschlossen, die ebenfalls weiter Handelsschiffe nach Russland schicken und von dort empfangen. Westeuropa und die USA aber haben sich mit ihren wenigen Getreuen von den russischen Rohstoffen und Produkten abgeschnitten. Den Preis zahlen vor allem völlig unbeteiligte Länder, denen jetzt sogar der Weizen knapp und das Brot unerschwinglich teuer wird. Neben Russland selbst leiden aber auch die Völker der USA und Westeuropas, bei denen durch diese Politik ebenfalls das Brot und alle Energiekosten im Preis rasant steigen.

Marx‘ Hoffnung, dass schon das 19. Jahrhundert den Kapitalismus „zu Grabe läutet“, hat sich nicht erfüllt. Vielleicht gelingt es mit zwei Jahrhunderten Verzögerung den jetzt Lebenden. Mit Sicherheit aber lässt sich schon heute sagen: Die Herstellung einer einheitlichen harmonischen Weltwirtschaft, diese „eigentliche Aufgabe“ der kapitalistisch geprägten Welt, wird dieses Jahrhundert nicht sehen. Dazu bedarf es einer Gesellschaft, die nicht auf dem Privateigentum an Grund und Boden und Produktionsmitteln mit dem Ziel beruht, aus beidem möglichst viel Profit herauszuschlagen. Die Welt als einer wirtschaftlichen Einheit zum Wohle aller Menschen dieses Planeten wird es nur auf sozialistischem Wege geben.

Manfred Sohn

1 Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, in: Marx Engels Werke (MEW) Band 4, Berlin 1974, S. 465f

2 Brief von Marx an Engels vom 8. Oktober 1858, in: MEW 29, Berlin 1963, S. 360

3 ebenda