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Klares Ziel und langer Weg: Die Geburtsurkunde des wissenschaftlichen Sozialismus ist das von Karl Marx und Friedrich Engels an der Jahreswende 1847 zu 1848 niedergeschriebene „Manifest der Kommunistischen Partei“. Dort ist nach einer gründlichen Analyse der bisherigen Menschheitsgeschichte das Banner, unter dem sich diese Kommunistische Partei nach Auffassung der beiden damals recht jungen Feuerköpfe versammeln sollte, klar beschrieben: „Die kommunistische Revolution ist das radikalste Brechen mit den überlieferten Eigentumsverhältnissen…“[1]. Im Anschluss daran sind in aller Offenheit die Schritte skizziert, die eine kommunistische Partei im Zuge einer von ihr mitgestalteten Revolution unternehmen wolle und die allesamt dort, wo es kommunistisch geführte Revolutionen gegeben hat (und geben wird) auch zur Anwendung kamen und kommen werden. Angekündigt sind unter anderem „despotische Eingriffe in das Eigentumsrecht.“ Diese ersten Schritte sind aber nicht das Ziel. Das ist weiter gesteckt: „Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter. … An Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“[2]

Die Anhänger dieser Bewegung passten bei ihrem Beginn in einen einzigen Saal einer Kneipe.[3] Das hat sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte geändert. Am ersten praktischen Versuch, diese „Assoziation“ freier Individuen zu schaffen, beteiligten sich in den 72 Tagen der Pariser Kommune im Jahr 1871 rund 1,8 Millionen Menschen. Der Versuch wurde – auch mit Hilfe preußischer Artillerie – blutig niedergeschlagen. Am zweiten großen Anlauf, der im Oktober 1917 in Petersburg im damaligen Russland unter Führung der bolschewistischen Partei begann, waren mit rund 180 Millionen schon deutlich mehr Menschen beteiligt. Auflage und Ausstrahlungskraft des „Kommunistischen Manifests“ nahmen zu und angefeuert durch die russische Oktoberrevolution schlossen sich in einem weiteren Schub zur Verwirklichung der Ideen des Kommunistischen Manifestes vor allem in der Mitte des letzten Jahrhunderts nach den Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg weitere Millionen Menschen in Osteuropa und in Asien dieser Bewegung an. Zu ihrer Geschichte gehört auch, dass es bei der einen Niederlage in Paris nicht blieb. Auch in den Teilen der Welt, die sich schon auf dem Weg zum Sozialismus wähnten, verspielte die Partei der Bolschewiki die Macht wieder – so in Russland und ganz Osteuropa in der Zeit der europäischen Konterrevolution in den Jahren 1989 und 1990. Am Gesamttrend der Bewegung hat das nichts geändert: Vor allem dank der Bemühungen der Völker Chinas, Vietnams und anderer arbeiten heute nicht nur 1,8 Millionen oder 180 Millionen, sondern rund 1,5 Milliarden Menschen daran, diesen Traum von der Assoziation Wirklichkeit werden zu lassen.

Der Weg zu dieser Wirklichkeit ist schwierig und wohl auch länger, als der junge Marx und der noch jüngere Engels sich das im Überschwang ihrer Jugend in den 1840er Jahren vorgestellt hatten. Die Revolution 1848 jedenfalls sah den Sieg der Kommunistischen Partei nicht, sondern zwang die beiden, ihr weiteres Leben im Exil – überwiegend in England – zu verbringen. Aber nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch befasste sich Marx im Folgenden intensiv mit der Frage der Voraussetzungen, die erfüllt sein müssten, um diesem Ziel, das Elend der Klassengesellschaften hinter sich zu lassen, für die Menschheit erreichbar werden zu lassen.

Zehn Jahre nach dem „Manifest“, vom Oktober 1857 bis zum Mai 1858[4] schreibt Marx seine „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“. Intensiv befasst er sich dort mit dem Ding, um das sich im Kapitalismus alles dreht – dem Geld. Das ist bis heute hoch aktuell, weil das Elend der sinnlosen, Menschen wie Natur zerstörenden Geldvermehrung verzweifelte jüngere und ältere Menschen auf den Plan ruft, die eine Abschaffung des Geldes – oder doch wenigstens des Zinses als der Ausdruck des Willens, das Geld stetig zu vermehren – fordern. Als hätte er das geahnt, widmet Marx in diesen Grundrissen viele Seiten der Frage der Voraussetzungen der Errichtung einer neuen Gesellschaft und führt aus: „Die Notwendigkeit selbst, das Produkt oder die Tätigkeit der Individuen erst in die Form des Tauschwerts, in Geld zu verwandeln, und daß sie erst in dieser sachlichen Form ihre gesellschaftliche Macht erhalten und beweisen, beweist zweierlei: 1. daß die Individuen nur noch für die Gesellschaft und in der Gesellschaft produzieren; 2. daß ihre Produktion nicht unmittelbar gesellschaftlich ist, nicht the offspring of association[5], die die Arbeit unter sich verteilt. Die Individuen sind unter die gesellschaftliche Produktion subsumiert, die als ein Verhängnis außer ihnen existiert… Es kann also nichts falscher und abgeschmackter sein, als auf der Grundlage des Tauschwerts, des Geldes, die Kontrolle der vereinigten Individuen über ihre Gesamtproduktion vorauszusetzen…“[6] Die angestrebte Assoziation also – der Kommunismus der Zukunft – „setzt die Entwicklung materieller und geistiger Bedingungen voraus“.

An der Entwicklung dieser materiellen und geistigen Bedingungen für eine Gesellschaft ohne Klassen, Krieg und Geld arbeiten inzwischen nicht nur Hunderte wie zu Zeiten der Jugendjahre von Marx und Engels, nicht nur Millionen wie zu Zeiten der Pariser Kommune oder der Gründung der von Marx und Engels noch mitgeprägten Sozialdemokratischen Partei (SPD) in Deutschland, sondern Milliarden Menschen. Sie erleiden Rückschläge und begehen schwere Fehler. Sie schreiten nicht von Sieg zu Sieg, sondern stolpern, richten sich auf, gehen weiter. Sie stellen sich unentwegt selbst infrage – so zum Beispiel, als Wladimir Iljitsch Lenin in den 1920er Jahren, um das drohende Scheitern des russischen Anlaufs, bei dem viele die zügige Abschaffung des Geldes forderten, mit einer „Neuen Ökonomischen Politik“ (NÖP) zu einer Teilrückzug blies, um durch vorübergehenden Einbau marktwirtschaftlicher – also letztlich kapitalistischer – Elemente dem Weg zum Sozialismus mehr Zeit zu verschaffen.

In der kommunistischen Bewegung gibt es spätestens seitdem eine lebhafte Debatte, wie dieser schwierige und lange Weg der Menschheit vom Kapitalismus zum Kommunismus praktisch gestaltet werden kann. So debattiert zur Zeit die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) kontrovers über die Politik der chinesischen Genossinnen und Genossen, die in Anlehnung an die lenin’sche NÖP recht stark kapitalistische Elemente in ihre Volkswirtschaften einbauen, um die materielle Basis für die Entwicklung einer kommunistischen Gesellschaft zu legen. Geht das gut, ist das ein gefährlicher Weg oder bietet er Hoffnung?

Sicher ist bei allem nur zweierlei: Erstens gibt es keine politische Bewegung auf diesem Globus, in der weltweit so spannende Debatten um die Zukunft der Menschheit geführt werden wie die kommunistische. Zweitens gibt es völlig Einigkeit um das Ziel: Die Voraussetzungen für die Abschaffung von Geld, Klassen, Klassen- und Rassenhass, Kriegen und Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu schaffen.

Der Bonner Genosse Wolf Göhring – den alle nur Lupus nennen – hat das mal in einem Gedicht mit dem schönen Titel „Ohne Moneten zum roten Planeten“ so formuliert und das ist vielleicht ein ganz schöner Einstieg in das schwierige Jahr 2023:

Marsonaut A:
Hey.
Wir fliegen zum roten planeten,
für immer
und ganz ohne moneten.

Marsonaut B:
Waaas? Wiesoo?
Ich brauch doch bargeld dort oben,
wenn ich mir nen kaffee ziehen will
oder zum shoppen in unsrer station.

Marsonaut A:
Biste blöd?
Was willste mit moneten
auf dem roten planeten?
Wir werden alle gemeinsam dran arbeiten,
dass die kostbare luft nicht aus der station über 
den mars weht
dass tomaten im gewächshaus gedeihen,
und vieles andere,
dass wir neue socken und hosen weben 
und nähen können,
wenn die alten verschlissen,
dass die hütte grösser wird,
wenn wir mehr werden.

Marsonaut B:
Sag mal, meinste, wir schaffen das,
auch wenn wir mit tausend hinauffliegen.
Denk mal, was wir alles machen müssen:
Wir brauchen richtige werkstätten
für kunststoffe, metalle, werkzeuge, 
maschinen, bauteile.
Mal geht das eine kaputt, 
mal soll das andre grösser werden.
Guck mal, 
für unser raumschiff arbeiten hier unten millionen
und dann wollen tausend hansels 
aufm mars das alles weiterbringen!

Marsonaut A:
Recht haste vielleicht. Wir fliegen nicht zum 
mars.
Wir bleiben hier!
Aber: Ohne moneten.
Was wir auf dem mars müssten,
nämlich leben und arbeiten ohne moneten,
das können wir auch hier.
Wir können hier genauso planen wie dort
und uns organisieren wie dort.
Gemeinsam geht das

Beide:
Dann leben wir auf dem blauen planeten
ganz ohne moneten -
die haben wir sowieso nicht.
Alle:
Wir - jetzt sind milliarden gemeint -
machen mit köpfchen
und gemeinsam
aus dem blauen planeten
den roten planeten

und zwar
ganz ohne moneten!
Hey!“

Unsere Reise ist vermutlich nicht kürzer als eine Reise zum Mars. Aber – bei Marx – sie wird gut enden, allen Gefahren und unseren Unzulänglichkeiten zum Trotz.

Manfred Sohn

 


 
[1] Karl Marx, Friedrich Engels, Werke (im Folgenden zitiert als MEW), Band 4, Berlin 1974, S. 481 – dito das nachfolgende Zitat aus diesem Werk
[2] ebenda, S. 482
[3] Hübsch eingefangen ist die Aufbruchstimmung jener Jahre in dem Film „Der junge Marx“ von Raoul Peck aus dem Jahre 2017.
[4] In dem Monat feierte Marx seinen 40. Geburtstag
[5] das Ergebnis der Assoziation
[6] MEW 42, Berlin 2005, S. 92, von dort auch das Folgezitat, Hervorhebungen im Original