Logo Marx-engels-StiftungMarx-Engels-Stiftung e.V. · Gathe 55 · 42107 Wuppertal · Tel: +49 202 456504 · marx-engels-stiftung@t-online.de
Im Schatten der Kriege stirbt der Traum vom „grünen Kapitalismus“

Im Juni 2022 hatten wir diese Rubrik „Marx Engels aktuell“ mit folgenden Worten begonnen: 

„Der Krieg in der Ukraine beherrscht zurzeit alle politischen Debatten. Er schiebt sich damit auch wie eine alles überdeckende Schicht aus Wörtern über die scheinbar der Vergangenheit angehörenden Diskussionen um die drohende Klimakatastrophe. Diese Diskussionen werden aber über kurz über lang wieder an die Oberfläche kommen wie ein Korken, der sich eben nicht unter Wasser halten lässt, weil ihn seine Auftriebskräfte immer wieder nach oben treiben.“

Als ob die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ diese Ankündigung in ihrer Richtigkeit bestätigen wollte, veröffentlichte sie in ihrer regelmäßigen Rubrik „Forschung und Lehre“ am 4. Oktober gleich zwei große Artikel, in denen sie sich mit den Positionen von Karl Marx und Friedrich Engels zur Frage des Verhältnisses von Mensch und Natur herumschlägt – und ihnen unterliegt.

Ausgangspunkt der Breitseite gegen den Marxismus ist – unter der Überschrift „Gedämpfte Hoffnungen“ – ein Bericht über eine an der Uni Hamburg durchgeführte Tagung mit dem Titel „Das Scheitern des grünen Kapitalismus: Befunde, Gegenstimmen, Alternativen“. Zwar wehrt sich der FAZ-Autor Wolfgang Krischke mit Händen und Füßen, vom ersten bis zum letzten Absatz gegen den Grundtenor dieser Konferenz, kommt aber nicht umhin, die an ihrem Beginn vom Sozialwissenschaftler Sighard Neckel vorgetragene Bilanz zu referieren: „Das Konzept grünen Wachstums und ökologisch orientierter Märkte habe in den vergangenen Jahrzehnten die Zerstörung der Ökosysteme kaum abbremsen, geschweige denn aufhalten können. Typische Instrumente des grünen Kapitalismus wie Emissionshandel, Nachhaltigkeitszertifikate oder umweltbewusster Konsum seien gegenüber dem Artensterben oder dem Klimawandel weitgehend wirkungslos geblieben. Der globale Kohleverbrauch sei so hoch wie nie zuvor, die Emissionen sänken kaum oder stiegen sogar, wie in den Vereinigten Staaten. Riesigen Summen, die in die Ölförderung gesteckt würden, stünden minimale Investitionen in nachhaltigen Technologien gegenüber. Und technisch erreichte Energieeinsparungen würden wieder aufgezehrt, wofür die überdimensionierten SUVs ein plastisches Beispiel böten.“ Zerlegt wurde auf der Konferenz diesem Bericht zufolge auch die Mär, die CO-2-Bepreisung würde an diesem Trend irgendetwas ändern – sie verschiebt unter dem Strich nur Gelder von der einen in die andere Tasche. 

Der letzte Strohhalm, an den sich die FAZ klammerte, ist ausgerechnet Ralf Fücks, früher einmal beim Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW), heute das Aushängeschild des mit staatlichen Mitteln geförderten „Zentrum Liberale Moderne“, das ausweislich seiner Website „für den Aufbruch in die ökologische Moderne“ steht und sich besonders seiner „fundierten Osteuropa-Expertise“ rühmt. „Marx‘ Prognose“, fasst die FAZ die Fücks-Position zusammen, „durch die Entfesselung der Produktivkräfte würde die kapitalistische Wirtschaft am Ende die Quellen ihres eigenen Reichtums – die menschliche Arbeitskraft und die Natur – vernichten, sah Fücks keineswegs als zwingend an. Aber reicht die Zeit? Dazu äußerte sich Fücks nur sehr allgemein. Die Dynamik des grünen Kapitalismus, so seine Hoffnung, wird das notwendige Tempo entfalten. Er nehme ja gerade erst Fahrt auf.“

Das, was dort als „Prognose“ bezeichnet wird, steht bei Marx in dessen Hauptwerk, dem „Kapital“ nicht als Voraussagung der Zukunft, sondern als zusammenfassendes Ergebnis seiner gründlichen Analyse über die „Produktion des relativen Mehrwerts“, dem er den gesamten Abschnitt IV seines Buches widmet. Dort heißt es im letzten Satz schlussfolgernd: „Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“[1]

Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Herleitung dessen, was hier zur „Prognose“ verkürzt wird, findet weder bei Fücks noch durch Krischke statt. Das Fehlen einer argumentativen Auseinandersetzung mündet so folgerichtig wie gegenwärtig die gesamte „grüne“ Politikentwicklung in einer zunehmenden Verleugnung der Wirklichkeit. Es findet nicht nur keine inhaltliche Auseinandersetzung mehr statt, sondern noch nicht einmal ein Eingehen auf die Faktenlage, die die FAZ eingangs ja völlig korrekt referiert hat. Das Ergebnis ist ein substanz- und faktenentleertes Prinzip Hoffnung, ein kuhäugiges Glotzen, in dem sich Unverständnis und Fassungslosigkeit angesichts der Weltläufe spiegelt.

Auch der zweite Artikel auf dieser Seite („Gibt es einen Wachstumszwang?“) arbeitet sich erneut an Marx ab, dem hier dann vom FAZ-Autor Thomas Thiel unterstellt wird, Marx hätte die oben zitierte Schlussfolgerung gar nicht aus seiner Analyse gezogen, sondern die Analyse auf dieses Ergebnis hin zurechtgeschustert: „Ursprünglich geht die These vom Wachstumszwang auf Karl Marx zurück. Sie hat einen geschichtsphilosophischen Hintergrund: Es gilt zu beweisen, dass der Kapitalismus nicht Herr seiner selbst ist und auf die Katastrophe hinsteuert. Ein System, dass Arbeitskräfte durch technischen Fortschritt ersetzt, muss nach Marx die Produktion ausweiten, um Arbeitslosigkeit und daraus folgende Konsumzurückhaltung abzuwenden.“  Das ist nicht völlig falsch, aber schief, weil dem einzelnen Unternehmer die Arbeitslosigkeit anderer völlig egal ist – sein Denken und Handelns kreist um seinen Profit, nicht um deren Arbeitslosigkeit. Statt sich ernsthaft mit den Einsichten des Marxismus auseinanderzusetzen, rutscht der Artikel in allgemeine „geschichtsphilosophische“ Betrachtungen ab, die in den schulterzuckend-hilflosen Sätzen münden: „Unstrittig dürfte auch sein, dass Wachstum ein verinnerlichter Zwang ist. … Vorerst bleibt es bei dem widersprüchlichen Appell: Dem Klima zuliebe sollen wir verzichten und der Wirtschaft zuliebe Einkaufen gehen.“

Man kann’s natürlich auch mit Politik versuchen – oder wie der junge Friedrich Engels in den kurz nach seinem 23. Geburtstag geschriebenen „Umrissen zu einer Kritik der Nationalökonomie“ bereits an der Jahreswende 1843/44 erkannte: „Aber der Ökonom weiß selbst nicht, welcher Sache er dient. Er weiß nicht, dass er mit all seinem egoistischen Räsonnement doch nur ein Glied in der Kette des allgemeinen Fortschritts der Menschheit bildet. Er weiß nicht, dass er mit seiner Auflösung aller Sonderinteressen nur den Weg bahnt für den großen Umschwung, dem das Jahrhundert entgegengeht, der Versöhnung der Menschheit mit der Natur uns mit sich selbst.“[2] Diese doppelte Versöhnung aber wird, wie Engels in einer seiner ersten Arbeiten bereits skizziert und wie die in der Tradition von Marx und Engels weiter weltweit wirkenden Kräfte nicht müde werden zu betonen, nicht unter dem Banner des Profitprinzips, also kapitalistisch, sondern nur sozialistisch, nach Vergesellschaftung der Produktionsmitteln möglich sein.

Nur damit uns heutigen Marxistinnen und Marxisten keine Kritiklosigkeit unterstellt wird: Hier irrte Engels – im Jahrhundert.

Manfred Sohn

 
[1] Karl Marx , Das Kapital, Marx Engels Werke (MEW), Band 23, Berlin 1974, S. 529f
[2] Friedrich Engels, Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie, in: MEW 1, Berlin 1974, S. 505