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Afrika in der Zeitenwende

Samstag, 23. September 2023, 10:00 - 16:30
Taranta Babu, Dortmund, Humboldtstr. 44

Referenten: Georges Hallermayer, Jörg Tiedjen, Valentin Zill

Valentin Zill (Redakteur „Unsere Zeit“): Westafrika auf dem Weg in die Unabhängigkeit?

Nach einer Serie von Putschen machtgieriger Militärs gleitet die ärmste Region der Welt ab in eine Spirale aus Gewalt und Elend – das jedenfalls befürchten bürgerliche Medien. Die Übergangsregierungen hingegen behaupten, den alten Traum von der Unabhängigkeit endlich verwirklichen und sich der alten Kolonialmächte ein für alle Mal entledigen zu wollen. Mali und Burkina Faso haben westliche Militärs nach Hause geschickt. Beide Länder suchen sich neue Partner und stellen die Entwicklung der eigenen Wirtschaft in den Vordergrund. Die neue Militärjunta in Niger schließt sich ihnen an.

Schaffen Assimi Goïta und Ibrahim Traoré, was Patrice Lumumba und Thomas Sankara nicht gelang?

Darüber spricht Valentin Zill, Redakteur bei unsere-zeit.de. Er schreibt regelmäßig in Unsere Zeit über Westafrika und hat an der Universität Bayreuth Ethnologie, Soziologie und Afrikanistik mit regionalem Schwerpunkt auf das frankophone Westafrika studiert.

Jörg Tiedjen (Redakteur „Junge Welt“): Eurafrika. Ein kolonialer Traum

2012 wurde die EU mit dem Nobelpreis geehrt, da sie und ihre Vorläufer „seit mehr als sechs Jahrzehnten dazu beigetragen haben, Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa voranzubringen“, wie es in der Begründung hieß. Allerdings war die friedliche Vereinigung der Beitrittsstaaten von Anfang an mit einer weiteren, globaleren Perspektive verbunden. Das zeigt sich, wenn man in die Römischen Verträge sieht, mit denen 1957 der EU-Vorläufer EWG gegründet wurde. In ihnen werden Kolonien der Mitgliedsländer als „assoziierte Gebiete“ aufgeführt, zu denen „besondere wirtschaftliche Beziehungen“ aufzubauen seien, die den „Interessen ihrer Einwohner“ zugute kommen sollen. Dazu zählen weite Teile Afrikas.

Ein Europa, das seine Konflikte begräbt und sich zusammenschließt, um gemeinsam Afrika zu „entwickeln“, ein gigantisches Reservoir von Ressourcen – dieser koloniale Traum hatte einmal einen Namen: Eurafrika. Diese Wortschöpfung ist heute kaum mehr bekannt. Gleichwohl hat die darunter verstandene Politik in der Vergangenheit eine tatsächliche Unabhängigkeit zahlreicher früherer Kolonien verhindert, wie Stefan Jonsson und Peo Hansen 2016 in dem Buch „Eurafrica“ herausheben. Auch ist das Konzept nach wie vor wirksam, wie sich angesichts der Suche der Industriestaaten nach herkömmlichen und alternativen Energiequellen sowie seltenen Rohstoffen zeigt, die von der Klima- und der Ukraine-Krise beschleunigt wird.

Länder wie Marokko, das früh an Projekten wie „Desertec“ teilnahm, müssten jedoch erst einmal für sich selbst eine nachhaltige Infrastruktur aufbauen, bevor sie Elektrizität, Wasserstoff oder synthetische Brennstoffe für den Export produzieren. Darauf hat immer wieder der algerische Umweltaktivist Hamza Hamouchene zum Beispiel auf der Webseite Middle East Eye hingewiesen. Er betont, dass Vorhaben wie riesige Solaranlagen zumeist ohne Rücksicht auf die Bevölkerung durchgesetzt werden. Nicht zuletzt hält Marokko bis heute große Teile der Westsahara besetzt, in der ebenfalls Windparks gebaut werden. Hier stützt die Kooperation Brüssels und einzelner EU-Staaten den permanenten Bruch internationalen Rechts.

Doch mittlerweile eröffnen sich neue Perspektiven. Während sich Marokko in einer tiefen Krise befindet, hat Algerien vom Anstieg der Öl- und Gaspreise profitiert. Algier hat auch Mitgliedschaft in den BRICS beantragt. Immer mehr afrikanische Staaten wollen nicht mehr so, wie der Westen es will. Die AU gewinnt an Bedeutung. Die Schwierigkeit ist, dass eigene Strukturen, wie sie zum Beispiel von der AU aufgebaut werden, noch nicht tragen. Ein gutes Beispiel ist die Suche Tunesiens nach einem anderen Weg aus seiner Verschuldung als der Aufnahme eines IWF-Kredits. Doch eines ist klar: So wie der Name wird auch das neokoloniale Konzept Eurafrika irgendwann verschwinden.

Georges Hallermayer (Historiker, freier Journalist): „Der Kampf um Afrika“ oder Afrikas Ziele 

Der neue Kampf um Afrika“ – eine Equidistanz simulierende, objektiv neutral scheinende Position – aber dennoch eine typisch (neo)koloniale Sicht auf den Kontinent, einem Objekt der Begierde wie weiland 1894 in Berlin. 

Doch 2013, nur zwei Jahre nach der Zerschlagung des libyischen Entwicklungsmodells und einem Jahr der französischen Militärmission „Barkhane“, beginnt in Afrika die Zeitenwende:

  • Kontinental - die Afrikanische Union beschließt ein panafrikanisches Entwicklungsprogramm, die „Agenda 2063“
  • Transkontinental - Südafrika tritt dem Zusammenschluß der großen Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China zu BRICS bei, einen Weg aus imperialistischere Hegemonie in multipolare Entwicklung, die duale Konfrontation eines neuen Kalten Krieges vermeidend

Die angestrebte Formulierung einer panafrikanischen Strategie zur Transformation der neokolonial ausgerichteten afrikanischen Wirtschaft von einem dem Weltmarkt ausgelieferten Rohstofflieferanten zu einem, der seine eigenen Ressourcen weiterverarbeitet, wird von den einzelnen Ländern nach ihren Kräften verfolgt 

Diese Ziele hat die VR China mit den im 3jährigen Rhythmus stattfindenden Foren zur Chinesisch-Afrikanischen Zusammenarbeit (FOCAC) politisch-ökonomisch unterstützt und gefördert: von einem 5 Mrd. Kreditrahmen im Jahr 2000 bis zu 60 Mrd. Investitionen in Infrastruktur, Landwirtschaft & Informationstechnologie im Jahr 2020, bei Zahlungsschwierigkeiten vom Schuldenschnitt zur Restrukturierung der Kredite aktuell.

Die USA suchen 

  • den Einfluss Chinas medial und wirtschaftlich zu kontern
  • gegen Russland die Regierungen über Pressionen im Handel mit AGOA und Krediten (IWF/Weltbank) zu positionieren
  • die AFRICOM-Militärpräsenz im „Krieg gegen den Terror“ auszubauen 
  • mit Erhöhung privater Direktinvestitionen in Sektoren der extraktiven Industrie, Energie und Informationstechnologie u.a. die wirtschaftliche Vernachlässigung der letzten Jahrzehnte aufzuholen. 
 
Videoaufzeichnungen der Referate