Essen, Hoffnungstr. 18
Zum 70. Jahrestag der Gründung der DDR: Analyse statt Exorzismus!
Die Leitmedien der Bundesrepublik nennen zwei Ereignisse, an die 2019 zu erinnern sei: 70 Jahre BRD und 30 Jahre Mauerfall - als Anfang vom Ende der DDR. Was die DDR angeht, ist die Rede von Unrechtsstaat, Pleitestaat, „verordnetem Antifaschismus“ und einem „fremdenfeindlichen Erbe“. Diese Bewertung der DDR geht über ihre tatsächliche Rolle in der Zeit der Systemauseinandersetzung unwissenschaftlich und ahistorisch hinweg. Man widmet sich lieber mit Inbrunst der 1991 vom damaligen Bundesinnenminister Kinkel gestellten Aufgabe, „das SED-System zu delegitimieren“. Vier Referenten aus der ehemaligen DDR und der BRD geben auf unserer Konferenz Antworten auf die Frage, ob dieser Staat tatsächlich „nur eine Fußnote der Geschichte“ war, wie der sozialdemokratische Historiker H. U. Wehler befand.
- Der Historiker Dr. Reiner Zilkenat spricht über die DDR als ein Ergebnis der Niederlage des deutschen Faschismus und die Gründung der SED als Konsequenz aus der Spaltung der Arbeiterbewegung von 1918 und 1933.
- Der Historiker Prof. Götz Dieckmann spricht zum Thema: Antifaschistisch-demokratische Gesellschaftsordnung als Basis für den Aufbau des Sozialismus?
- Die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Erika Maier befasst sich mit der sozialistischen Wirtschaftspolitik der DDR, ihren Bedingungen, Erfolgen, Fehlern und Lehren, die daraus folgen.
- Stefan Kühner (stv. Vorsitzender der Freundschaftsgesellschaft Vietnam und Mitglied unseres Vorstands) betrachtet die Rolle der DDR als Staat des Friedens und des Internationalismus.
Anhand der Referate und in der Diskussion mit den Vortragenden wollen wir herausarbeiten, welche welthistorische und geostrategische Bedeutung der DDR zukommt, unter welchen Bedingungen sie sich entwickelt hat, welche Erfolge sie trotz widriger Bedingungen auf wichtigen Feldern errungen hat, aber auch, welche Strukturen und/oder Weichenstellungen sich als falsch beziehungsweise hemmend erwiesen haben.
Hier ein Bericht über die Veranstaltung von Stefan Kühner:
In diesem Seminar ging es nicht nur um eine historische Einordnung der DDR, sondern um die politische und ideologische Einordnung dieses Staates im Kampf der Systeme.Der Historiker Dr. Reiner Zilkenat zeigte in seinem lebendigen Vortrag auf, dass die DDR in der bundesrepublikanischen Betrachtung stets von ihrem Ende her betrachtet wird. Er zeigte auf, dass bei der Beurteilung der Entwicklung der DDR ausgeblendet werde, unter welche schwierigen Rahmenbedingungen sich die DDR an der Frontlinie des Systemkampfes behaupten musste. In der Betrachtung der DDR gibt es in den aktuellen Medienberichten vor allem die verfälschte Erzählung eines Kampfes der Schurken (DDR und UdSSR) gegen die Guten (BRD und USA).
Mit beeindruckenden Zahlen unterlegte Erika Maier, ehemalige Professorin der Hochschule für Politische Ökonomie Berlin, (ihr Referat musste wegen einer Erkrankung der Autorin vorgelesen werden) die viel komplizierteren Ausgangsbedingungen der DDR gegenüber der BRD. Diese waren unter anderem geprägt durch immense Reparationsleistungen für die Sowjetunion und die deutlich höheren Aufwendungen für Menschen, die nach Ende des Krieges in der DDR aufgenommen wurden. Sehr offen sprach sie allerdings auch über Problem in der Wirtschaftslenkung. „Die Bevölkerung, Eigentümerin der Betriebe, war nicht, zumindest nicht ausreichend, an Entscheidungen beteiligt. Partei und Parteiapparat entschieden. Ihr Meinungsmonopol lähmte zunehmend die Gesellschaft. Diskussionen zu Grundsatzfragen wurden nicht zugelassen, auch nicht in der Partei.“ Auch die Finanzierung des sozialen Systems habe wirtschaftliche Auswirkungen gehabt. „Zur Bewertung der Leistungen der DDR-Wirtschaft gehört, dass sie den DDR-Bürgern eine hohe soziale Sicherheit gab. Niemand hat in dem Land DDR gehungert, es gab keine Tafeln, keine Obdachlosen. Alle hatten Arbeit und Wohnung zu niedrigen Mieten. In den letzten 20 Jahren der DDR bezog jeder zweite DDR-Bürger eine neue Wohnung. Auf der Grundlage von Volkseigentum und Planwirtschaft und dem Engagement vieler Menschen erzielte die DDR über 40 Jahre ein international überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum. Der Produktivitätsrückstand gegenüber der leistungsstarken Bundesrepublik wurde reduziert und garantierte den DDR-Bürgern einen hohen Grad sozialer Sicherheit.“ Der Schlusssatz ihres Referats, „Eine marode Wirtschaft hätte das nicht leisten können“, wurde mit viel Beifall bedacht."