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Friedrich Engels Würdigung der Bauernaufstände von vor 500 Jahren

In diesen Tagen und bis ins nächste Jahr hinein werden sich viele Artikel und Veranstaltungen insbesondere in Sachsen, Thüringen und dem süddeutschen Raum (darüber hinaus auch in Tirol und der Schweiz) mit dem deutschen Bauernkrieg befassen, der heute vor 500 Jahren begann und 1525 nach über 70.000 getöteten Bauern, Städtern und ein paar Adligen endete. 

In seiner Artikelserie „Der deutsche Bauernkrieg“ hat Friedrich Engels diesem Aufstand der vom Adel und den reichen Stadtbürgern gepeinigten Bauern ein bleibendes Denkmal gesetzt. Er schrieb den Text im Sommer 1850, erschienen ist die Arbeit erstmals vom Mai bis Oktober 1850 in der „Neuen Rheinischen Zeitung“. Die Würdigung dieses historischen Ereignisses als erste frühbürgerliche Revolution in Deutschland wird seinen Anteil daran gehabt haben, daß der erste sozialistische Staat auf deutschem Boden, die Deutsche Demokratische Republik, sich selbst als „Arbeiter- und Bauernstaat“ bezeichnete, das Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern als sein Fundament betrachtete und die Ähre als Symbol des Bauernstandes in seiner Staatsflagge trug.

Sowohl von der Atmosphäre, in der der damals 30jährige Engels die Bauernhaufen würdigte als auch vor der Verneigung eines ganzen Staates vor der Landwirtschaft sind wir heute weit entfernt. Die Stimmung in der ins Exil getriebenen deutschen Linken war nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 zwar von Niedergeschlagenheit geprägt, aber auch noch nachglimmend erfüllt von revolutionärer Glut und der Hoffnung, schon bald wieder die Flamme der Revolution entzünden zu können. Die Erinnerung an die revolutionären Traditionen in Deutschland wachzuhalten war einer der Aufgaben, zu denen sich Engels gleich am Anfang seiner Artikelserie bekannte: „Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition. Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen können, wo das deutsche Volk eine Ausdauer und Energie entwickelte, die bei einer zentralisierteren Nation die großartigsten Resultate erzeugt hätte, wo deutsche Bauern und Plebejer mit Ideen und Plänen schwanger gingen, vor denen ihre Nachkommen oft zurückschaudern. Es ist an der Zeit, gegenüber der augenblicklichen Erschlaffung, die sich nach zwei Jahres des Kampfes fast überall zeigt, die ungefügen, aber kräftigen und zähen Gestalten des großen Bauernkrieges dem deutschen Volke wieder vorzuführen. Drei Jahrhunderte sind seitdem verflossen, und manches hat sich geändert; und doch steht der Bauernkrieg unseren heutigen Kämpfen so überaus fern nicht und die zu bekämpfenden Gegner sind großenteils noch dieselben.“[1]

Bevor er in die Darstellung der Ereignisse einsteigt, liefert Engels eine Skizze über die „ökonomische Lage und (den) sozialen Schichtenbau Deutschlands“ zum Beginn des 16. Jahrhunderts – ein Verfahren, ohne das auch heute keine wesentliche Bewegung irgendeines Volkes verstanden werden kann. Diese damalige Schichtung war, verglichen mit der 300 Jahre später, verwickelt: „Jeder Stand war dem andern im Wege, lag mit allen andern in einem fortgesetzten, bald offnen, bald versteckten Kampf.“[2] Die im Kapitalismus sich herausbildende Hauptteilung der Klassen in diejenige, die im Besitz praktisch aller Produktionsmittel ist und diejenige, die ihre Arbeitskraft verkaufen muss, weil sie sonst nichts nennenswertes zu verkaufen hat, um leben zu können, hatte damals noch nicht stattgefunden – deshalb eine kompliziertere Schichtung als wir sie etwa von 1848 oder auch von heute in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern kennen. Der tiefste Grund, weshalb korrekterweise bis heute und weit über den Marxismus hinaus die Ereignisse von 1524 bis 1526 als „Bauernkriege“ bezeichnet werden, liegt aber eben darin: „Unter allen diesen Klassen, mit Ausnahme der letzten[3], stand die große exploitierte Masse der Nation: die Bauern. Auf dem Bauer lastete der ganze Schichtenbau der Gesellschaft: Fürsten, Beamte, Adel, Pfaffen, Patrizier und Bürger.“[4]

Im zweiten Teil seiner Untersuchung wendet sich Engels dem opponierenden Lager zu. Dieses Kapitel wäre insofern einen ganzen eigenen Artikel wert, weil es von großer Bedeutung für das Verstehen eines nur scheinbar jüngeren Phänomens ist: Ganze Lehrstühle werden in Deutschland dafür eingerichtet, religiöse Bewegungen zu analysieren – vor allem denen, die sich auf den Islam stützen, aber auch angesichts der Bedeutung, die Indien erlangt, die Hindi-Bewegungen und andere. Engels leitet die zentrale Stellung des Christentums für den ganzen feudalistischen Gesellschaftsabbau ohne einen Fetzen Bibelkunde nachvollziehbar her und führt sie auf die materiellen Grundlagen zurück, um dann fundiert zu lästern: „Die deutsche Ideologie sieht, trotz der neuesten Erfahrungen, in den Kämpfen, denen das Mittelalter erlag, noch immer weiter nichts als heftige theologische Zänkereien. Hätten die Leute jener Zeit sich nur über die himmlischen Dinge verständigen können, so wäre, nach der Ansicht unsrer vaterländischen Geschichtskenner und Staatsweisen, gar kein Grund vorhanden gewesen, über die Dinge dieser Welt zu streiten. Diese Ideologen sind leichtgläubig genug, alle Illusionen für bare Münze zu nehmen, die sich eine Epoche über sich selber macht oder die die Ideologen seiner Zeit sich über diese Zeit machen. … Von den Klassenkämpfen, die in diesen Erschütterungen ausgefochten werden und deren bloßer Ausdruck die jedesmal auf die Fahne geschriebene politische Phrase ist, von diesen Klassenkämpfen haben selbst heute noch unsre Ideologen kaum eine Ahnung… Auch in den sogenannten Religionskriegen des sechzehnten Jahrhunderts handelte es sich vor allem um sehr positive materielle Klasseninteressen, und diese Kriege waren Klassenkämpfe, ebensogut wie die späteren inneren Kollisionen in England und Frankreich. Wenn diese Klassenkämpfe damals religiöse Schibboleths trugen, wenn die Interessen, Bedürfnisse und Forderungen der einzelnen Klassen sich unter einer religiösen Decke verbargen, so ändert dies nichts an der Sache und erklärt sich leicht aus den Zeitverhältnissen.“[5]

So gerüstet skizziert Engels die Aufteilung der Nation „in drei Lager, in das katholische oder reaktionäre, das lutherische bürgerlich-reformierende und das revolutionäre.“[6] Es gehört nicht viel Phantasie dazu, diese Lagerbildung auch in den kommenden 500-Jahr-Feierlichkeiten zum Bauernkrieg wiederzufinden. Das katholische, reaktionäre Lager wird ein paar unverständliche Entschuldigungen murmeln und hoffen, daß die Gedenkveranstaltungen vorbeigehen, das evangelisch-reformistische wird mit kuhaugenglotzendem Unverständnis im Gesicht Luther in allen Varianten in die Höhe recken und wir, die in der Tradition der Heldinnen und Helden der Bauernkriege Stehenden, werden Münzer feiern und auf die Ähnlichkeit des Bundschuhs mit dem Gummistiefel hinweisen, der aus den Bauernunruhen des letzten Winters bis heute an manchen deutschen Ortsschildern hängt. 

Letzteres ist auch deshalb wichtig, weil Engels Untersuchung das liefert, was die reine Theologie nicht liefern kann – die Begründung für die Niederlage der nach tausenden zählenden bäuerlichen Haufen am Ende der Schlachten, nämlich ihrem Scheitern am „Gegensatz zwischen bürgerlicher und bäuerlich-plebejischer Opposition, an dem der Bauernkrieg zugrunde ging.“[7]

Natürlich liegen Welten mehrere technischer Revolutionen zwischen dem damaligen Bauern, die häufig von den Adligen nach Wegnahme der Ochsen mit der Peitsche gemeinsam mit ihren Frauen  vor den eigenen Pflug gezwungen wurden, um ihre kargen Äcker für die Ablieferung des Zehnten umzubrechen und den heutigen Landwirten, die auf ihren kreditfinanzierten Treckern dutzende von Hektar bestellen. Aber der Kern der Niederlage der Bauern bleibt – wenn sie sich auf das gehobene Bürgertum verlassen, sind sie verlassen. Das gilt damals wie heute. Oder wie es Wladimir Iljitsch Lenin als Lehre Engels aus den gemeinsamen Niederlagen von 1525 und 1848 ausdrückte: „… Zersplitterung der Aktion, fehlende Zentralisation bei den unterdrückten Massen, hervorgerufen durch ihre kleinbürgerliche Lebenslage.“[8] Anders ausgedrückt: Die Niederlage von 1525 war in gewisser Hinsicht trotz allem Heldentum unvermeidlich, weil der natürliche Bündnispartner der Bauern – das städtische Proletariat – noch in den Kinderschuhen steckte und keine eigene Macht darstellte. Die Tatsache, daß die deutschen Bauern es zwischen Elbe und Oder immerhin 40 Jahre lang mit der Ähre in die Staatsflagge und materiell zu Sicherheit, Urlaubsanspruch und geregelten Arbeitszeiten brachten, hing damit zusammen, daß das Proletariat stärker geworden war und die Bauern nicht mit der Bourgeoisie, sondern mit dem Proletariat zusammen in die Kämpfe zogen. 

Ein Hinweis zum Schluß, bevor wir die Leser bitten, sich selbst durch Lektüre der knapp 80 Seiten von Engels auf das 500-Jahr-Jubiliäum vorzubereiten: Engels stützt sich in seinen Darstellungen auf das Buch von Wilhelm Zimmermann, den er selbst als einen „der Besten auf der äußersten Linken in Frankfurt“[9] würdigt. Dieses Buch ist nicht unbedingt in seiner analytischen Kraft – die liefert später dann Engels -, aber in seiner detaillierten Darstellung der Lage der arbeitenden Klassen und den Einzelheiten ihrer Erhebung gegen die Obrigkeit eine eigene, freilich etwas längere Lektüre wert. Zu diesen Details gehört die Rolle der Frauen bei der Erhebung der Bauern zum Beispiel beim Marsch der Bauernhaufen nach Weinsberg im April 1525: „Auf der Ebene von Erlenbach schon hatte ein ‚schwarzes Weib‘ den Segen über das Bauernheer gesprochen. Als eine ganz eigentümliche Gestalt im Bauernheere ragte die Böckingerin hervor, die man unter dem Namen ‚die schwarze Hofmännin‘ in der ganzen Gegend kannte. … Sie war Jakob Rohrbachs Freundin, Ratgeberin, Helferin, sein Sporn und sein mahnender Geist; oft stärkte sie ihn, wenn er wankend werden wollte, ‚er solle seines Vornehmens nicht nachlassen, Gott wolle es‘. Den Adel hasste sie furchtbar. … Sie ruhte nicht, bis sie das Landvolk unter den Waffen sah. Auch die Städter haßte sie und besonders die stolzen Städterinnen von Heilbronn. Man hörte sie sagen, sie wolle noch den gnädigen Frauen die Kleider vom Leibe abschneiden, daß sie gehen wie die berupften Gänse. … Mit Jäcklin Rohrbachs Haufen zog sie von Sontheim aus. Da sah man das schwarze Weib, der Steingrube zu, der bewaffneten Schar vorausziehen, sie führte sie eigentlich.“[10]

Manfred Sohn


 
[1] Friedrich Engels, Der deutsche Bauernkrieg, in: Marx Engels Werke (MEW), Band 7, Berlin 1973, S. 329
[2] ebenda, S. 340
[3] Gemeint ist die „plebejische Fraktion der Städte“, die „vom allgemeinen Sturm so weit fortgerissen, daß das embryonale proletarische Element in ihr momentan die Oberhand über alle anderen Fraktionen der Bewegung bekam.“ – ebenda, S. 339
[4] Ebenda, S. 339 – Hervorhebung wie überall im Original
[5] Ebenda, S. 343
[6] Ebenda, S. 342
[7] Ebenda, S. 344
[8] Hier zitiert nach dem Vorwort zur MEW 7, S. XI
[9] Wilhelm Zimmermann, Der grosse deutsche Bauernkrieg, Berlin 1955, S. 5 – gemeint ist hier die verfassungsgebende Versammlung in der Frankfurter Paulskirche vom Mai 1848
[10] ebenda, S. 385f