Der dritte Band des „Kapital“ von Karl Marx ist zu recht vor allem berühmt geworden durch seinen dritten Abschnitt, der das „Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ behandelt. Solange das Grundprinzip der Gesellschaft der Austausch von Waren ist, die von Privateigentümern an Grund und Boden und Produktionsmitteln durch die Ausbeutung der von ihnen gekauften Ware Arbeitskraft ist, muß der einzelne Kapitalist bei Strafe seines Untergangs den tendenziellen Fall der Profitrate, die im Mittelpunkt seines ganzen Strebens steht, ausgleichen durch die Steigerung der Profitmasse – also durch Expansion in neue Märkte und das Zerstören von Konkurrenten.
Im Schatten dieses gut 50 Druckseiten umfassenden dritten Abschnitts steht der fast 200 Seiten starke sechste Abschnitt, der den Titel „Verwandlung von Surplusprofit in Grundrente“ trägt. Sich durch dieses dicke Brett durchzubeißen lohnt auch heute noch, weil diese Arbeit das Verständnis für die kommende Balgerei auf dem Sektor der Agrarindustrie und der sogenannten extraktiven Industrien, also denen, die verwertbare Materialien aus der Erdkruste herausbrechen und vermarkten, erleichtert.
Der genannte Abschnitt gehört zu einem noch größeren Teil des III. Bandes des Kapital, der sich unter verschiedenen Aspekten befaßt mit der Frage, wie eigentlich der durch die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft erbeutete Profit verteilt in Unternehmergewinn, Zins, Wuchergewinn, Gewinn der Vermieter – und eben Grundrente.
Die politische Bedeutung dieser umfangreichen Untersuchung, war im 19. Jahrhundert angesichts der größeren Rolle der Landwirtschaft einsichtiger als sie es heute scheint. Aber damals wie heute gilt: „Man muß sich klarmachen, worin eigentlich die Schwierigkeit der Behandlung der Grundrente, vom Standpunkt der modernen Ökonomie, als des theoretischen Ausdrucks der kapitalistischen Produktionsweise besteht. Dies ist selbst von einer großen Anzahl neuerer Schriftsteller immer noch nicht begriffen worden, wie jeder erneuerte Versuch, die Grundrente ‚neu‘ zu erklären, beweist. Die Neuheit besteht hier fast immer in dem Rückfall in längst überwundene Standpunkte.“ 1).
Es ist hier nicht der Platz, die gründliche und differenzierte Untersuchung mit ihren Ausformungen der Grundrente in Differentialrente I und II und ihren verschiedenen Unterfälle, die absolute Rente, die Bergwerksrente und die Darlegung der historisch bedeutsamen Arbeitsrente, Produktenrente und schließlich Geldrente nachzuzeichnen. Allen gemein ist, „daß die Aneignung der Rente die ökonomische Form ist, worin sich das Grundeigentum realisiert…“2 . Im Kern geht es darum, daß diejenigen, die das juristische Eigentum an einem Stück Erdkruste erworben haben, diejenigen, die es wertbildend im vorübergehenden Besitz haben, dafür letztlich tributpflichtig machen, also einen Teil des von den kapitalistisch wirtschaftenden Besitzern herausgeschlagenen Mehrwerts in ihre Taschen lenken.
Bei diesem Verteilungskampf unter Begüterten – denn darum handelt es sich bei diesem Prozess – prägen sich unter kapitalistischen Bedingungen einige Gesetzmäßigkeiten heraus:
1.
„Da wir aber gesehen haben, daß die Profitrate im Fortschritt der gesellschaftlichen Entwicklung eine Tendenz zum Fallen hat, … so folgt, daß der Bodenpreis eine Tendenz zum Steigen hat, auch unabhängig von der Bewegung der Grundrente und des Preises der Bodenprodukte, wovon die Rente einen Teil bildet.“3
Keine Macht der Welt – es sei denn, sie hat die Kraft zum Bruch mit der kapitalistischen Logik – wird also das weitere Ansteigen der Bodenpreise mit ihren gravierenden Auswirkungen auf die Bevölkerung umkehren können.
2.
„Es liegt in der Natur der kapitalistischen Produktionsweise, daß sie die ackerbauende Bevölkerung fortwährend vermindert im Verhältnis zur nicht ackerbauenden, weil in der Industrie (im engern Sinn) das Wachstum des konstanten Kapitals, im Verhältnis zum variablen, verbunden ist mit dem absoluten Wachstums, obgleich der relativen Abnahme, des variablen Kapitals, während in der Agrikultur das variable Kapital absolut abnimmt, das zur Exploitation eines bestimmten Bodenstücks erforderlich ist…“4
Es mag auch weiterhin – und im gewissen Umfang sogar florierende – Nischen für „Bioproduzenten“ geben, die ihren besser begüterten Kunden einen Extrapreis auf der Geldbörse ziehen können. Aber die Schranke wird durch die Verteilung von Kapitalströmen gesetzt, die wesentlich nicht im Bereich der Landwirtschaft – ob nun bio- oder chemiebetont – entschieden wird, sondern sich nach den Profitraten richten, die im Bereich der gesamten kapitalistischen Wirtschaft erzielbar sind.
Im übrigen gilt natürlich die von Marx an den sonst von ihm kritisierten Physiokraten bereits entdeckte Einsicht, „daß in der Tat alle Produktion von Mehrwert, also auch alle Entwicklung des Kapitals, der natürlichen Grundlage nach, auf der Produktivität der agrikolen Arbeit beruht.“5 Pro Ei nehmen biozertifizierte Betriebe 129% Preisaufschlag gegenüber der Ware aus industrieller Produktion von denen, die das zu zahlen bereit und in der Lage sind. Bei Butter sind es 74 Prozent, bei Kartoffeln knapp 80 Prozent. Wer das zum allgemeinen Maßstab machen würde, würde anderen Abteilungen der Gesellschaft – Ausbeutern wie Ausgebeuteten - auch in nichtagrikolen Lebensbereichen den Gürtel mindestens ein Loch enger schnallen müssen.
3.
„Der Wasserfall, wie die Erde überhaupt, wie alle Naturkraft, hat keinen Wert, weil er keine in ihm vergegenständlichte Arbeit darstellt und daher auch keinen Preis, der normaliter nicht ist als der in Geld ausgedrückte Wert. Wo kein Wert ist, kann eo ipso auch nichts in Geld dargestellt werden.“6
An dieser Grundregel der warenproduziertenden Tauschgesellschaft werden alle Versuche scheitern, die Natur durch künstliche Bepreisung vor diesem System und seiner inneren Logik zu retten.
4.
Und als vorletztes sei die düstere, sich immer konkreter bewahrheitende Schlußbemerkung des ganzen sechsten Abschnitts zitiert: „… so untergräbt das große Grundeigentum die Arbeitskraft in der letzten Region, wohin sich ihre urwüchsige Energie flüchtet, und wo sie als Reservefond für die Erneuerung der Lebenskraft der Nationen sich aufspeichert, auf dem Lande selbst. Große Industrie und industriell betriebene große Agrikultur wirken zusammen. Wenn sie sich ursprünglich dadurch scheiden, daß die erste mehr die Arbeitskraft und daher die Naturkraft des Menschen, die letztere mehr direkt die Naturkraft des Bodens verwüstet und ruiniert, so reichen sich später im Fortgang beide die Hand, indem das industrielle System auf dem Land auch die Arbeiter entkräftet und Industrie und Handel ihrerseits der Agrikultur die Mittel zur Erschöpfung des Bodens verschaffen.“7
So wird in der historischen Nachbetrachtung aufgrund derselben Logik, die angsterfüllend einst unter dem Stichwort „Peak Oil“ über den Globus zog, nur der Vorbote für die viel größere Gefahr der „Peak Soil“ gewesen sein – der Gefahr der „Erschöpfung des Bodens“, von dem wir alle genährt werden.
Retten kann uns davor nur das Festhalten an der alten Erkenntnis:
„Vom Standpunkt einer höhern ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen m Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“8
Manfred Sohn
1 Marx-Engels Werke (MEW) Band 25, Berlin 1973, S. 790
2 Ebenda, S. 647
3 Ebenda, S. 637
4 Ebenda, S. 650
5 Ebenda, S. 793
6 Ebenda, S. 667
7 Ebenda, S. 821
8 Ebenda, S. 784