Marx Engels aktuell
Viele sagen, Marx und Engels – geboren zum Beginn des 19. Jahrhunderts – wären nicht mehr aktuell, weil die Zeiten eben heute ganz andere sein. Sie irren. Natürlich kannten beide noch keine Computer und hätten gestaunt über die Erfolge der Raumfahrt. Das, was sie schrieben, ist aber nicht nur wegen ihrer Methode, alles kritisch zu hinterfragen, von bleibendem Wert. Viele ihrer Äußerungen helfen uns heute Lebenden, die moderne Welt besser zu verstehen. Dem soll diese kleine Serie „Marx und Engels aktuell“ dienen. In ihr spiegelt eines unserer Mitglieder einmal im Monat aktuelle Ereignisse an Aussagen der beiden Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus.Ach, hätten sie doch nicht seit dem nun schon 50 Jahre zurückliegenden Start der Berufsverbote für alles kommunistisch Verdächtige marxistischer Wissenschaftler aus den Hochschulen in Deutschland vertrieben! Dann hätten die politischen Entscheidungsträger wenigstens ein paar Akademiker gehabt, die sie vor dem Irrtum gewarnt hätten, die Sanktionen gegen Russland, die sich seit dem 24. Februar immer mehr entfalten, würden dort viel, hier aber wenig Schaden anrichten.
Als das Gewitter erst noch aufzog, aber die EU bereits Sanktionen androhte, kursierten bereits die Rechnungen, die den politischen Entscheidungsträgern die Eröffnung des Wirtschaftskrieges gegen Russland erleichtern sollten. Hermann Simon beispielsweise, der wahrscheinlich gut verdienende Gründer der „Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partner“ wunderte sich am 22. Februar in der FAZ, „dass die wirtschaftliche Lage Russlands in der öffentlichen Diskussion um die aktuelle Ukrainekrise fast vollständig außen vor“ bliebe. Dessen Wirtschaftskraft werde völlig überschätzt. Sie betrage nur „7,2 Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung“ oder „10,9 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung“ – mit gegenüber den Vorjahren jeweils abnehmender Tendenz. Auch die „russische Exportstärke“ werde überschätzt. Sie läge „bei weniger als ein Drittel der deutschen Exporte“, ihre Struktur sei „extrem einseitig“ und entfalle zu „drei Vierteln“ auf Öl und Gas. Das sollte heißen: Ein Wirtschaftskrieg gegen einen solchen Zwerg würden die Riesen USA und EU leicht gewinnen.
Viele andere Belege für solche Berechnungen ließen sich anführen.
Gäbe es Marxistinnen und Marxisten an den Hochschulen, hätten sie darauf hingewiesen, dass dieser Berechnung eine Verwechslung von Tausch- mit Gebrauchswerten zugrunde läge. Denn diese Rechnung erfasst nur Tauschwerte. Die Bedeutung von Warengruppen für das Leben der Menschen hat aber mit ihrem Tauschwert wenig zu tun. Sie hätten das schon den Anfängern im „Kapitalkurs I“ beigebracht – und damit wären wir bei den ersten beiden Sätzen des Hauptwerkes von Karl Marx:
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Der dritte Band des „Kapital“ von Karl Marx ist zu recht vor allem berühmt geworden durch seinen dritten Abschnitt, der das „Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ behandelt. Solange das Grundprinzip der Gesellschaft der Austausch von Waren ist, die von Privateigentümern an Grund und Boden und Produktionsmitteln durch die Ausbeutung der von ihnen gekauften Ware Arbeitskraft ist, muß der einzelne Kapitalist bei Strafe seines Untergangs den tendenziellen Fall der Profitrate, die im Mittelpunkt seines ganzen Strebens steht, ausgleichen durch die Steigerung der Profitmasse – also durch Expansion in neue Märkte und das Zerstören von Konkurrenten.
Im Schatten dieses gut 50 Druckseiten umfassenden dritten Abschnitts steht der fast 200 Seiten starke sechste Abschnitt, der den Titel „Verwandlung von Surplusprofit in Grundrente“ trägt. Sich durch dieses dicke Brett durchzubeißen lohnt auch heute noch, weil diese Arbeit das Verständnis für die kommende Balgerei auf dem Sektor der Agrarindustrie und der sogenannten extraktiven Industrien, also denen, die verwertbare Materialien aus der Erdkruste herausbrechen und vermarkten, erleichtert.
Der genannte Abschnitt gehört zu einem noch größeren Teil des III. Bandes des Kapital, der sich unter verschiedenen Aspekten befaßt mit der Frage, wie eigentlich der durch die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft erbeutete Profit verteilt in Unternehmergewinn, Zins, Wuchergewinn, Gewinn der Vermieter – und eben Grundrente.
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Schon im „Kapital“, dem Hauptwerk von Marx, wird das Blatt zitiert: Die seit September 1843 bis heute in London erscheinende Wochenzeitschrift „The Economist“. Sie hat sich zu dem wohl wichtigsten Selbstverständigungsorgan der herrschenden Klasse in Westeuropa und den USA entwickelt. Die Ausgabe vom 15. Januar 2022 enthält einen „Special report“ zum Verhältnis von „Business and the state“. Die Macher des Blattes befürchten eine „neue Ära der Intervention“[1], nachdem doch seit Beginn der 1990er Jahre die Staaten in dem seitdem siegreichen Kapitalismus sich mehr und mehr aus dem Handeln der kapitalistischen Unternehmen zurückgezogen und sogar massenhaft früher staatlich gelenkte Unternehmen privatisiert hätten. Stolz verweist das Blatt darauf, daß von 1990 bis 2016 „die Staaten rund um die Welt Vermögen im Wert von ungefähr 3,6 Billionen Dollar verkauft hätten“[2]. Aber nicht nur das drohende Auslaufen dieser für das Kapital einträglichen Privatisierungswelle wird beklagt. Es gäbe eine zunehmende Konzentration des so von allen staatlichen Fesseln befreiten Unternehmertums: „Nach den Kalkulationen des ‚Economist‘ sind zwei Dritteln des rund 900 Sektoren der Volkswirtschaft, die vom (US-)amerikanischen Statistischen Budnesamt für Volkswirtschaft erfasst werden, zwischen 1997 und 2012 von Konzentrationsprozessen erfaßt worden. In der Hälfte dieser Bereiche hat sich die Konzentration in den darauf folgenden fünf Jahren noch beschleunigt. In den zwei Jahrzehnten, die 2017 endeten, erhöhte sich der durchschnittliche Marktanteil der vier größten Unternehmen im betreffenden Wirtschaftsbereich von 26 auf 32 Prozent. Die vier größten britischen Unternehmen stehen in 58 Prozent der ungefähr 600 dort erfaßten Wirtschaftsbereiche für größere Marktanteile hinsichtlich der Einnahmen als ein Jahrzehnt vorher. Die Konzentration in der EU geht in dieselbe Richtung, wenn auch langsamer.“[3]