Marx Engels aktuell
Viele sagen, Marx und Engels – geboren zum Beginn des 19. Jahrhunderts – wären nicht mehr aktuell, weil die Zeiten eben heute ganz andere sein. Sie irren. Natürlich kannten beide noch keine Computer und hätten gestaunt über die Erfolge der Raumfahrt. Das, was sie schrieben, ist aber nicht nur wegen ihrer Methode, alles kritisch zu hinterfragen, von bleibendem Wert. Viele ihrer Äußerungen helfen uns heute Lebenden, die moderne Welt besser zu verstehen. Dem soll diese kleine Serie „Marx und Engels aktuell“ dienen. In ihr spiegelt eines unserer Mitglieder einmal im Monat aktuelle Ereignisse an Aussagen der beiden Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus.Drei Thesen zu sozialistischen Erfahrungen und Perspektiven
Die nachfolgenden Überlegungen resultieren aus drei Referaten, die der Vorsitzende der Marx-Engels-Stiftung zwischen dem 24. und 29. November 2023 vor rund 80 Menschen in Diskussionsrunden ganz unterschiedlicher Zusammensetzung gehalten hat: Einem Gruppenabend der DKP Berlin-Tempelhof/Schöneberg, einer Veranstaltung der Deutsch-Chinesischen Freundschaftsgesellschaft Ludwigsfelde und einer Vorlesung vor VWL- und BWL-Studierenden an der Uni Göttingen. In die vorliegende Verschriftlichung dieser Referate sind die anschließenden Debatten aller drei Veranstaltungen und seitdem erschienene Veröffentlichungen in solchen Medien wie der jungen welt oder der Wochenzeitung unsere zeit mit eingeflossen.
I.
Viele der gegenwärtigen Debatten nicht nur in linken Kreisen um die Entwicklungen in China erscheinen als Debatten um die Einschätzung der dortigen Gesellschaft als entweder (wieder) kapitalistisch oder auf dem Weg zum Sozialismus befindlich. Sie sind ihrem Wesen nach aber Debatten um die Frage der Zeithorizonte historischer Umwälzungen.
Grundlage des Herangehens der Marx-Engels-Stiftung an solche Debatten ist der von Karl Marx und Friedrich Engels begründete wissenschaftliche Sozialismus. Beide waren in ihrer Jugend politisch geprägt von der revolutionären Stimmung der 1848er Jahre und hatten (wie viele ihren Spuren folgenden Menschen mit ihnen) einen eher auf Jahre, schlimmstenfalls Jahrzehnte zielenden Zeithorizont für den Übergang des Kapitalismus zum Sozialismus als erster Stufe des Kommunismus. Die tatsächlichen geschichtlichen Verläufe haben sie nicht der Richtung nach, aber hinsichtlich der Zeithorizonte korrigiert.
Weiterlesen: „… behaftet mit den Muttermalen der alten Gesellschaft…“
Anregende Aktualität einer 1858er-Betrachtung zur Jahreswende
Am 23. Dezember 1858, also vor ziemlich genau 165 Jahren, erschien in der „New-York Daily Tribüne“ als Leitartikel eine längere Abhandlung von Friedrich Engels, die er schlicht mit „Europa im Jahre 1858“ überschrieben hatte.
Seine Leser an der US-amerikanischen Ostküste bereitete er darin auf eine Beschleunigung politischer Ereignisse auf dem seit einem Jahrzehnt politisch eher ruhigen alten Kontinent vor, die sich seit einigen Monaten abzeichne: „Die zweite Hälfte des Jahres 1858 ist Zeuge eines eigentümlichen Wiedererwachens politischer Aktivität in Europa gewesen. Vom 2. Dezember 1851 bis Mitte dieses Jahres war der europäische Kontinent in politischer Hinsicht wie mit einem Leichentuch bedeckt. Die Mächte, die dank ihrer Armeen siegreich aus dem großen revolutionären Kampf hervorgegangen waren, durften nach ihrem Belieben regieren, Gesetze erlassen oder umstoßen, befolgen oder verletzen, wie es ihnen gerade gefiel. Überall waren die Vertreterkörperschaften zu einem bloßen Schein herabgewürdigt worden; es gab kaum irgendwo eine Parlamentsopposition, die Presse war geknebelt und hätte es nicht dann und wann ein plötzlich aufflammendes Feuerzeichen gegeben, … im Verlaufe derer sich der alte revolutionäre Geist für eine kurze Zeit, um welchen Preis auch immer, in einer lauten und Aufsehen erregenden Selbstbehauptung offenbarte, dann hätte man denken können, der europäische Kontinent habe nach der Erfahrung von 1848 alle Ideen von einem politischen Leben aufgegeben…“[1]
Weiterlesen: „… Zeuge eines eigentümlichen Wiedererwachens politischer Aktivität…“
Im Schatten der Kriege stirbt der Traum vom „grünen Kapitalismus“
Im Juni 2022 hatten wir diese Rubrik „Marx Engels aktuell“ mit folgenden Worten begonnen:
„Der Krieg in der Ukraine beherrscht zurzeit alle politischen Debatten. Er schiebt sich damit auch wie eine alles überdeckende Schicht aus Wörtern über die scheinbar der Vergangenheit angehörenden Diskussionen um die drohende Klimakatastrophe. Diese Diskussionen werden aber über kurz über lang wieder an die Oberfläche kommen wie ein Korken, der sich eben nicht unter Wasser halten lässt, weil ihn seine Auftriebskräfte immer wieder nach oben treiben.“
Als ob die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ diese Ankündigung in ihrer Richtigkeit bestätigen wollte, veröffentlichte sie in ihrer regelmäßigen Rubrik „Forschung und Lehre“ am 4. Oktober gleich zwei große Artikel, in denen sie sich mit den Positionen von Karl Marx und Friedrich Engels zur Frage des Verhältnisses von Mensch und Natur herumschlägt – und ihnen unterliegt.
Die Bedeutung von Wissenschaft und Technik für den Fortschritt der Menschheit
Verständlich ist sie auf den ersten Blick schon angesichts der Perversitäten, die Wissenschaft und Technik unter dem kapitalistischen Regime und erst recht in seinem imperialistischen Zeitalter hervorbringen, diese im Westen zur Zeit wieder zunehmende Feindlichkeit der Wissenschaft und Technik gegenüber. Aber sie ist ein Irrweg.
Als am 17. März 1883 auf dem Friedhof Highgate in London Karl Marx zu Grabe getragen wurde, verglich ihn sein bester Freund Friedrich Engels in seiner Grabrede mit Charles Darwin – wie jener „das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte…“[1]. Im weiteren Verlauf der Würdigung seiner Entdeckungen pries er ihn als „der Mann der Wissenschaft“[2]. Diesen Titel beschränkt Engels ausdrücklich nicht auf die Geisteswissenschaften: „Die Wissenschaft war für ihn eine geschichtlich bewegende, eine revolutionäre Kraft. So reine Freude er haben konnte an einer neuen Entdeckung in irgendeiner theoretischen Wissenschaft, deren praktische Anwendung vielleicht noch gar nicht abzusehen – eine ganz andere Freude empfand er, wenn es sich um eine Entdeckung handelte, die sofort revolutionär eingriff in die Industrie, in die geschichtliche Entwicklung überhaupt. So hat er die Entwicklung der Entdeckungen auf dem Gebiet der Elektrizität… genau verfolgt.“
Die Bedeutung Chinas für den Rest der Welt
Die Niederlage der Revolution von 1848/49 bedeutet Karl Marx und Friedrich Engels auch persönlich einen tiefen Einschnitt. Wie so viele andere müssen sie, um Haft oder Tod zu entgehen, vor der siegenden deutschen Reaktion ins Ausland fliehen. Engels arbeitet für die väterliche Fabrik in Manchester, Marx studiert in London vor allem ökonomische Texte und versuchte, seine wachsende Familie ökonomisch durch das Abfassen von Zeitungsartikeln über Wasser zu halten. Er schreibt wie der Teufel. Allein vom März bis Dezember 1853 – also vor jetzt 170 Jahren – schickt der 35jährige so viele Texte an US-amerikanische und auch europäische Zeitungen, daß sie zusammen mit denen, die Engels vor allem zu militärischen Fragen verfasst, heute über 550 Druckseiten der „Marx Engels Werke, Band 9“ umfassen. „Rechnen“, wie wir heute wohl sagen würden, tut sich diese Herkulesarbeit nicht: Schon im Frühjahr 1853 befindet sich die Familie Marx in materieller Notlage, weil viele Zeitungen auf dem alten Kontinent sich scheuen, Artikel des ehemaligen Chefredakteurs der „Rheinischen Zeiung“ trotz aller Anerkennung, die sie erhalten, zu veröffentlichen und weil die „New-York Daily Tribune“, der Adressat der meisten von Marx‘ Artikeln, unregelmäßig zahlt. Zum Glück hat die Familie ihren Friedrich: Engels hilft ihnen mit Abzweigungen aus seinem Geschäftsführergehalt aus der schlimmsten Not heraus. Das ist auch deshalb ein großer Segen, weil so Marx trotz unregelmäßiger Zahlungseingänge diese Artikel weiterschreiben kann. Sie sind heute in den „MEW 9“ nachzulesen. Weil in diesem Band kein größerer Artikel der beiden steht, liegt er im Windschatten wissenschaftlicher und publizistischer Aufmerksamkeit selbst linker Kreise. Das ist vor allem aus zwei Gründen schade und sollte korrigiert werden.
Weiterlesen: "… daß die nächste Erhebung der Völker Europas…"
Marx und Engels zu den Voraussetzungen dauerhaften Friedens nach innen und außen
Von Karl Marx und Friedrich Engels ist kein zusammenhängendes, großes Werk über das Thema Krieg und Frieden überliefert, dass alle denkenden und fühlenden Menschen des blutigen 20. Jahrhundert und des immer blutiger werdenden 21. Jahrhunderts beschäftigt. Das hat seinen schlichten Grund darin, dass beide noch vor dem Zeitalter lebten und wirkten, welches die Marxistin Rosa Luxemburg in ihrer berühmten „Junius-Broschüre“ zur „Krise der Sozialdemokratie“ später das „Zeitalter der Weltkriege“ nennen sollte, in dem wir uns immer unverkennbarer befinden.
Sowohl Luxemburg als auch Wladimir Iljitsch Lenin standen auf den Schultern von Marx und Engels – auch in der Friedenfrage.
Marx und Engels haben die Geburt des deutschen Parlamentarismus ohne die heutige Aufgeblasenheit begleitet
Mit ziemlichem Getöse und Selbstbeweihräucherung hat die politische Spitze des deutschen Staates des Zusammentretens der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt vor 175 Jahren gedacht. Die dort zelebrierte gegenseitige Schulterklopferei ist der Bevölkerung weitgehend am Hintern vorbeigegangen - die Vertrauen in den Berliner Politikbetrieb ist, wie das „Institut für Demoskopie“ in der FAZ am 19.Mai berichtete, „begrenzt. Nur zehn Prozent haben großes, 29 Prozent überhaupt kein Vertrauen.“
Das liegt an der Grundkonstruktion des bürgerlichen Parlamentarismus, der die Klassenherrschaft des Kapitals vor allem verhüllen soll, niemals aber gefährden darf. Die Mehrheit der Bevölkerung ahnt das mindestens und ist nicht davon abzubringen, dass die Wahrheit der prokamierten Demokratie im kapitalistischen Alltag liegt.
Weiterlesen: "... lächerlich... und dabei so erfüllt von ihrer eigenen Wichtigkeit..."
Bis in unsere Provinzpresse hinein reichte das Beben, das der Erfolg der „Kommunistischen Partei Österreich plus“ bei den Landtagswahlen im Bundesland Salzburg am 23. April 2023 auslöste. Mit 11,7 Prozent der Wählerstimmen zogen die Kommunistinnen und Kommunisten in den dortigen Landtag ein. Reichlich konsterniert stellte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) am 25. April fest: „Damit ist Salzburg bereits das zweite tiefrote Einsprengsel in Österreich, neben der Steiermark mit ihrer Hauptstadt Graz unter KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr.“ Das „Göttinger Tageblatt“ vermerkte am selben Tag irritiert: „Die Bilder am Sonntagabend aus dem Salzburger Musikclub Jazzit zeigen sehr viele lauthals jubelnde Menschen. Auffällig ist, wie jung die allermeisten von ihnen sind. Doch hier ist keine Clubparty, es feiern die Kommunisten ihren Wahlerfolg im österreichischen Bundesland Salzburg. Das ist die Sensation dieser Landtagswahl: Die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) kommt wie aus dem Nichts auf 11,7 Prozent der Stimmen. 2018 waren es noch typische 0,4 Prozent. In der Stadt Salzburg mit ihren 160 000 Einwohnerinnen und Einwohnern erreicht die als KPÖ plus angetretene Gruppe gar knapp 22 Prozent und liegt dort auf Platz zwei, nur 2,5 Punkte hinter der konservativen ÖVP. Seit 1949 ist die KPÖ damit erstmals wieder im Salzburger Landtag vertreten, und das mit gleich vier Parlamentariern. Wie kann das sein?
Weiterlesen: „Dass der heutige Staat der Wohnungsplage weder abhelfen kann noch will…“
Die Entstehung und Bedeutung der „Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie“
Der April 1858 – also in diesem Monat vor 165 Jahren – ist für Karl Marx in London kein guter Monat. Nachdem ihm die Niederlage der 48er-Revolution ins Exil nach London verschlagen hatte, fristet er dort ein karges Dasein, finanziell unterstützt vor allem durch seinen in Manchester in der Textilfabrik seines Vaters arbeitenden Freund Friedrich Engels. Seit 1850 betreibt Marx, Stunden, Tage und Nächte in der „British Library“ verbringend, intensive ökonomische Studien. Als 1857 erneut eine tiefe ökonomische Krise ausbricht, in deren Folge sowohl Engels als auch er ähnlich wie zehn Jahre zuvor eine elementare politische Erhebung erwarten, intensiviert der damals knapp 40jährige Familienvater diese angestrengte Arbeit. Hauptsächlich in den Nachtstunden schrieb er von Oktober 1857 bis März 1858 das nieder, das zwar in Teilen, aber in seiner Gänze erst lange nach seinem Tod – in den Jahren 1939 bis 1941 - das Licht der Welt erblickte: Die „Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie“. Sie bilden das Fundament des später erschienen weltberühmt gewordenen Buches „Das Kapital“.
175 Jahre „Manifest der Kommunistischen Partei“
Wichtige Bücher hinterlassen ihre Spuren in der Geschichte auf vielfache Weise. Als in diesem Februar die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ihre Entschlossenheit bekräftigte, für eine Lohnerhöhung von 12 Prozent, mindestens aber 650 Euro zu kämpfen, druckte sie auf eines ihrer Plakate den Satz „Eisenbahner:innen aller Bahnen, vereinigt Euch!“.
Vor jetzt 175 Jahren erschien in einer Auflage von tausend Exemplaren in London die erste Ausgabe des Manifests der Kommunistischen Partei - um den internationalen Anspruch der Bewegung deutlich zu machen in sechs Sprachen zugleich. Auf dem Titelblatt der Erstausgabe prankte der gleichzeitig letzte Satz des Textes: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“. Ob die EVG sich dessen nun bewusst ist oder nicht – die veränderte Hereinnahme dieses berühmten Satzes in die laufenden Tarifauseinandersetzungen ist ein Geburtstagsgeschenk, über das sich Karl Marx und Friedrich Engels gefreut hätten.
- „Kann Europa abrüsten?“
- „Sie setzt die Entwicklung geistiger und materieller Bedingungen voraus…“
- „… wäre nicht alles Privateigentum Diebstahl?“
- Gattungsvermögen, Kooperation und die kommenden Streiks
- „… in militärischer Hinsicht vielleicht nützlich…“
- „…materielle Kräfte mit geistigem Leben ausstatten und das menschliche Leben … verdummen“